Die IEC 62366-1:2015 ist seit Februar 2015 veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe wird bald folgen. Dieser Artikel
- berichtet über die aktuellen Entwicklungen (Veröffentlichungstermin der DIN EN IEC 62366-1, Anhang ZZ),
- nennt die wichtigsten Unterschiede zwischen der IEC 62366-1:2015 und IEC 62366:2007 und
- beschreibt, wie vollständig die grundlegenden Anforderungen durch die Norm als erfüllt vermutet werden dürfen.

Aktuelles
Anhang Z
Derzeit (Stand Juli 2016) arbeitet man an den „Z-Anhängen“. Diese beschreiben, wie vollständig die Norm hilft, die grundlegenden Anforderungen der MDD nachzuweisen. Lesen Sie weiter unten mehr zu diesen Z-Anhängen.
Termin für Harmonisierung der IEC 62366-1:2015
Sommer 2016: Die IEC 62366-1:2015 wird wohl im Q4 2016 in Europa harmonisiert. Lesen Sie weiter unten mehr zur Harmonisierung und der Zeitschiene.
FDA ersetzt in der Liste der anerkannten Normen die IEC 62366:2007 durch die IEC 62366-1:2015
Im August 2015 hat die FDA die aktualisierte Liste von „recognized standards“ veröffentlicht. Darin ist die IEC 62366:2007 bereits durch die neue Ausgabe der Norm ersetzt.
Unterschiede zwischen der IEC 62366-1:2015 und IEC 62366:2007
Zerlegung in die IEC 62366-1 und IEC 62366-2
Die neue IEC 62366 besteht aus zwei Teilen, der Norm selbst (IEC 62366-1) und einem informativen Technical Report (IEC 62366-2). Auf diese Weise ließ sich der normative Teil entschlacken.
Anforderungen der IEC 62366-1:2015 an die Prüfung der Gebrauchstauglichkeit
Die IEC 62366-1:2015 kennt keine Usability Verifizierung und Usability Validierung mehr. Vielmehr unterscheidet die Norm jetzt die formative (entwicklungsbegleitende) und summative (abschließende) Bewertung. Lesen Sie hier mehr dazu (auf der Seite etwas runter scrollen). Entsprechend sind Pläne zur formativen und summativen Prüfung der Gebrauchstauglichkeit vorgeschrieben.
Neu ist also die normative Forderung, dass bereits im Verlauf des Entwicklungsprozesses geprüft werden muss und nicht erst zum Ende. Die Norm überläßt es dem Hersteller, ob er diese Prüfungen eher als Verifizierung oder als Validierung gestaltet.
Bedeutung der Benutzungsszenarien
Bereits die IEC 62366:2007 kannte die Benutzungsszenarien. Bei der IEC 62366-1:2015 ist es aber wesentlich, diese Benutzungsszenarien zu kennen und die daraus sich ergebenden sicherheitsbezogenen Funktionen zu identifizieren und zu beschreiben. Diese muss der Hersteller dann in der abschließenden Bewertung berücksichtigen. Begründete Ausnahmen sind möglich.
Hauptbedienfunktionen
Die Hauptbedienfunktionen haben in der IEC 62366-1:2015 wesentlich an Bedeutung verloren. Auch deren Definition hat sich geändert: Nun sind es nur noch die sicherheitsbezogenen Funktionen, nicht mehr die häufig benutzten.
Trainings- und Begleitmaterialien
Die entsprechenden Kapitel in der IEC 62366:2007 sind in der IEC 62366-1:2015 aufgelöst und in den normalen „Usability Prozess“ integriert worden.
UOUP (User Interface of Unknown Provenance)
Die IEC 62366-1:2015 hat das Konzept der UOUP (User Interface of Unknown Provenance) übernommen, das bereits der Anhang K zur IEC 62366:2007 eingeführt hat. Das Ziel des Konzepts besteht darin, für „Legacy-Benutzerschnittstellen“ eine Vereinfachung zu ermöglichen, ggf. sogar auf einen Usability Engineering Prozess zu verzichten. Voraussetzung dafür ist weiterhin, dass eine „Use Specification“ erstellt und aus Post-Produktionsdaten eine Gefährdungsanalyse durchgeführt wird, die diesen Verzicht rechtfertigt.
Harmonisierung der IEC 62366-1:2015
Fristen
Das IEC stimmt sich derzeit über das Zurückziehen IEC 62366:2007 ab. Die Norm genießt aber eine Übergangsfrist bis wahrscheinlich Ende 2017.
Man erwartet die Harmonisierung der IEC 62366-1:2015 im vierten Quartal 2016. Damit werden 2016 gleich zwei „62366-Normen“ veröffentlicht bzw. harmonisiert:
- Wie eben geschrieben wird 2016 die IEC 62366-1:2015 übersetzt und als harmonisierte Norm erscheinen.
- Ebenfalls noch 2016 erwartet man den neuen Anhang zur IEC 62366. Dieser führt die User Interface of Unknown Provenance UOUP ein. Das verschafft den Herstellern die Möglichkeit, „legal“ mit bereits bestehenden Produkten (genauer gesagt deren Benutzer-Produkt-Schnittstellen) zu gehen. Auf der Webseite der EU ist dieser Anhang noch nicht gelistet (Stand Juli 2016).
Mit Bezug auf den Stand der Technik empfehlen wir, bereits heute IEC 62366-1:2015-konform zu entwickeln. Das sollten Sie allerdings mit der benannten Stelle abklären. Sie finden hier mehr zu den harmonisierten Normen.
„Z-Anhänge“ und die grundlegenden Anforderungen
Die „Z-Anhänge“ erklären Medizinprodukte-Herstellern, welche regulatorischen Anforderungen der MDD als erfüllt vermutet werden dürfen, wenn sie die harmonisierten Normen einhalten, und welche nicht.
Im Anhang I „grundlegende Anforderungen“ legt die Medizinprodukte-Richtlinie mit Bezug zur Gebrauchstauglichkeit fest:
- Kapitel 1: Allgemeine Festlegungen: „Die Produkte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass ihre Anwendung unter den vorgesehenen Bedingungen und zu den vorgesehenen Zwecken weder den klinischen Zustand und die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und die Gesundheit der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährdet, wobei etwaige Risiken im Zusammenhang mit der vorgesehenen Anwendung gemessen am Nutzen für den Patienten vertretbar und mit einem hohen Maß an Gesundheitsschutz und Sicherheit vereinbar sein müssen. Dazu gehört
— eine weitestgehende Verringerung der durch Anwendungsfehler bedingten Risiken aufgrund der ergonomischen Merkmale des Produkts und der Umgebungsbedingungen, in denen das Produkt eingesetzt werden soll (Produktauslegung im Hinblick auf die Sicherheit des Patienten), sowie
— die Berücksichtigung der technischen Kenntnisse, der Erfahrung, Aus- und Weiterbildung sowie gegebenenfalls der medizinischen und physischen Voraussetzungen der vorgesehenen Anwender (Produktauslegung für Laien, Fachleute, Behinderte oder sonstige Anwender).“ - Kapitel 9.2: „Die Produkte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass folgende Risiken ausgeschlossen oder soweit wie möglich verringert werden:
— Verletzungsrisiken im Zusammenhang mit […] der Abmessungen und gegebenenfalls der ergonomischen Merkmale;“ - Kapitel 10.2: „Messskalen, Bedienungs- und Anzeigeeinrichtungen müssen so ausgelegt sein, dass sie unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Produkts ergonomischen Grundsätzen entsprechen.“
- Kapitel 12.9: „Die Funktion von Bedienungs- und Anzeigeeinrichtungen muss auf den Produkten deutlich angegeben sein…“
- Kapitel 13.1: „Jedem Produkt sind Informationen beizufügen, die — unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstandes des vorgesehenen Anwenderkreises — die sichere und ordnungsgemäße Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers möglich machen…“
Keine dieser einzelnen Forderungen betrachtet der Anhang ZZ als durch die DIN EN IEC 62366-1:2015 vollständig abgedeckt. Dies drückt sich in Redewendungen aus wie „not fully covered“ oder „covered only with respect to…“. Beispielsweise heißt es zum Kapitel 10.2: „Covered only in respect to “must be designed in line with ergonomic principles” by 4 to 5.10.“.
Auf den ersten Blick der Eindruck entstehen, hier habe das Normengremium keine gute Arbeit geleistet. Andererseits sind die unabgedeckten Deltas marginal.
Fazit: Wenn Sie Ihr Produkt vollständig IEC 62366-1-konform entwickelt haben, dürfte die benannte Stelle in aller Regel akzeptieren, dass die grundlegenden Anforderungen mit Bezug zur Gebrauchstauglichkeit erfüllt sind.