Die MEDDEV 2.12-1 beschreibt die Anforderungen der EU an ein Marktüberwachungs- und Meldesystem (Vigilanz-System). Dieses Vigilanz-System ist Gegenstand von ISO 13485- bzw. Anhang II-Zertifizierungsaudits.
Regulatorische Relevanz der MEDDEV 2.12-1
Die MEDDEV 2.12-1 (hier Originaltext) beschreibt nicht nur Anforderungen an die Vigilanz-Systeme von Medizinprodukteherstellen, sondern auch die Rollen
- der Behörden,
- der benannten Stellen,
- der Europäischen Kommission selbst und
- der Anwender.
Die Hersteller müssen zuerst die nationalen Gesetze und Vorschriften erfüllen. Diese sind in Deutschland mit Bezug zum Meldewesen das
Abb. 1: Struktur der MEDDEV 2.12-1
a) Forderungen der MEDDEV, die auch die nationalen Gesetze stellen
Diese nationalen Vorschriften sind im Fall von Deutschland an vielen Stellen präziser und verbindlicher als die Forderungen der MEDDEV 2.12-1.
- Meldepflicht (s.u. „Wann gemeldet werden muss“)
- Meldefristen
- Update z.B. mit Untersuchungsergebnissen und Abschlussbericht
- Inhalt der Meldungen
Die MEDDEV ist dennoch hilfreich, weil sie die Forderungen ausführlicher formuliert und auch Beispiele nennt.
b) Forderungen der MEDDEV, die über die der nationalen Gesetze hinausgehen
Die MEDDEV 2.12-1 stellt auch Forderungen, die über die national-gesetzlichen hinausgehen:
- Trend-Reporting (s.u.)
- Berichte zu Gebrauchstauglichkeitsproblemen und anormalem Gebrauch
- Geräte, mit denen ein Zwischenfall auftrat, habhaft werden
Forderungen der MEDDEV 2.12-1 an das Vigilanz-System der Hersteller
Wann gemeldet werden muss
Wie die MPSV müssen Hersteller einen Zwischenfall nur dann melden, wenn
- ein Fehler am Gerät, eine unbekannte Nebenwirkung, eine inadäquate Therapie oder ein fehlerhaftes Labeling aufgetreten ist UND
- das Gerät für dieses Problem mit-ursächlich sein könnte UND
- der Tod oder eine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist oder hätte eintreten können.
Ob die Informationen über mögliche Probleme direkt von den Anwendern, den Medizinprodukteberatern, den Behörden selbst (z.B. Weiterleiten von Anwendermeldungen an die Behörde) oder aus sonstigen Quellen stammen, ist unerheblich.
Was gemeldet werden muss
Die Meldungen an die Behörden müssen schlussendlich folgende Informationen enthalten:
- Betroffene Geräte, Batch-Nummern
- Problembeschreibung
- Mögliche oder tatsächliche Risiken und Gefährdungen
- Beschreibung Maßnahmen und deren Begründung
- Repräsentant des Herstellers (in Deutschland Sicherheitsbeauftragter)
Wie schnell gemeldet werden muss
Die MEDDEV 2.12-1 stellt nahezu identische Meldefristen wie die MPSV:
- Unverzüglich
- Bei Bedrohung der öffentlichen Gesundheit
- Bei Todesfällen bzw. schweren Gesundheitsstörungen
- Spätestens nach 30 Tagen: in allen anderen Fällen
Reporting
Trend-Reporting: Die Hersteller sollten auch dann den Behörden melden, wenn sie Trends von Ereignissen machen, die einzeln noch nicht einer Meldepflicht unterliegen.
Usability-Reporting: Die Hersteller sollen zudem systematisch Benutzungsfehler und den anormalen Gebrauch auswerten und Berichte auf Verlangen vorweisen können.
Guideline zur Guideline
Im Juli 2019 hat die EU eine neue Guideline zur „alten“ MEDDEV 2.12-1 (aus dem Jahr 2013) veröffentlicht mit dem Ziel,
- Definitionen besser verständlich zu machen,
- ein neuen „Incident Report“ und ein Teamplte für die „Field Safety Notice“ einzuführen,
- die Zusammenarbeit der Behörden untereinander besser zu regeln und
- das Zusammenspiel mit der IMDRF genauer zu beschreiben.
Die Templates und Formulare sind auf der Seite der EU verfügbar, ebenso die MIR Codes, die vom IMDRF stammen. Was sich hinter diesen Codes verbirgt erfahren Sie auf den Seiten des IMDRFs.
Abb. 2: Ausschnitt aus dem Incident Report. Die Codes stammen vom IMDRF.
Die Anpassung der Formulare war durch den Umstieg auf die MDR bzw. IVDR notwendig geworden.
Kritik
Kritik an MEDDEV-Dokumenten im Allgemeinen
So hilfreich die MEDDEV-Dokument sind, so sehr stehen Sie immer wieder in der Kritik. Lesen Sie im Übersichtsartikel zu den MEDDEVs mehr dazu.
Kritik an der MEDDEV 2.12-1 im Speziellen
Bei der MEDDEV 2.12-1 stehen zusätzliche Kritikpunkte im Raum
- Unklare Abgrenzung mit nationalen Vorschriften
Für Hersteller ist es aufwendig herauszufinden, wo die Anforderungen der MEDDEV über die der nationalen Vorschriften hinausgehen. Es sollte auch nicht deren Aufgabe sein. - Fragwürdige Begriffsdefinitionen und Konzepte
Begriffe und Konzepte, wie sie beispielweise in Normen formuliert sind, finden nur bedingt Berücksichtigung. So führt die MEDDEV 2.12-1 eigene Begrifflichkeiten wie einen indirekten Schaden ein, der mit dem im gleichen Dokument definierten Begriff des Schadens nur schwer in Übereinklang zu bringen ist. - Mangelnde Handlungsleitung
Wesentliche Fragen lässt die MEDDEV unbeantwortet:
- Welche Informationsquellen sollen Hersteller auswerten?
- Wie oft sollte das geschehen? Von was hängt diese Frequenz ab?
- Welche Algorithmen zur Auswertung stehen zur Verfügung?
- An was kann man erkennen, ob ein Trend meldepflichtig ist?
Bei aller Kritik: Weil sich die MEDDEV 2.12-1 gleichermaßen an Hersteller, Behörden und benannte Stellen richtet, besteht zumindest die Hoffnung, dass diese Parteien über ein einheitlicheres Verständnis dessen verfügen, was mit Bezug auf ein Vigilanz-System regulatorisch gefordert ist.