Medizinproduktehersteller sind verpflichtet, ein Vigilanz-System aufrecht zu erhalten.
Welche regulatorischen Anforderungen Sie erfüllen müssen, wie sich ein Vigilanz-System von einem System für die Post-Market Surveillance unterscheidet und wie Sie ein Vigilanz-System schnell und gesetzeskonform aufbauen und betreiben, verrät Ihnen dieser Beitrag.
1. Definition und Ziele der Vigilanz
Obwohl die Medizinprodukte-Verordnung MDR umfangreiche Anforderungen an Vigilanz-Systeme stellt, definiert sie nicht, was sie unter Vigilanz versteht – im Gegensatz zum Begriff „Post-Market Surveillance“.
Indirekt findet sich eine Definition in der MEDDEV 2.12/1 (zu dieser Leitlinie später mehr):
Definition: Vigilanz-System
„European system for the notification and evaluation of INCIDENTs and FIELD SAFETY CORRECTIVE ACTIONS (FSCA) involving MEDICAL DEVICEs, known as the Medical Device Vigilance System“
MEDDEV 2.12/1 Kapitel 2 (Einleitung)
Die Leitlinie nennt auch die Ziele eines Vigilanz-Systems, nämlich den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit (Safety) von Patienten, Anwendern und Dritten dadurch zu verbessern, dass man die Wahrscheinlichkeit verringert, dass ein (negatives) Ereignis noch einmal auftritt.
2. Abgrenzung von Vigilanz und Post-Market Surveillance
Den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit von Patienten, Anwendern und Dritten ist auch das Ziel der Post-Market-Surveillance, die die MDR als „Marktüberwachung“ übersetzt. Allerdings verfolgen Vigilanz-Systeme und Systeme für die Post-Market Surveillance unterschiedliche Ziele:
- Die Vigilanz ist ein reaktives System, das auf Zwischenfälle reagiert.
- Hingegen muss die Post-Market Surveillance proaktiv erfolgen. Die MDR definiert die Post-Market Surveillance sogar mit dem Begriff proaktiv.
Weiterführende Informationen
Lesen Sie hier mehr zum Thema Post-Market Surveillance (Überwachen nach dem Inverkehrbringen).
Eine Verwechslungsgefahr besteht auch zwischen den Begriffen Marktüberwachung (market surveillance) und Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance). Für letztere sind die Hersteller ebenso zuständig wie für die Vigilanz. Hingegen obliegt die Marktüberwachung den Behörden bzw. der EU-Kommission.
Auch die MDR trennt präzise Vigilanz, Überwachnung nach der Inverkehrbringung und Marktüberwachung. Sie widmet jedem im Kapitel VII eine eigene Sektion (s. Abb. 1).

Abb. 1: Abgrenzung von Vigilanz von Post-Market Surveillance und Marktüberwachung (laut MDR) (zum Vergrößern klicken)
3. Regulatorische Anforderungen an die Vigilanz
a) Status-quo
Medizinprodukte-Richtlinie
Die Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) nennt den Begriff nur einmal im verbindlichen Text. Hier geht es um das Sammeln von Daten in der „European Databank“.
Nationale Gesetze und Verordnungen
Dafür sind die nationalen Gesetze und Verordnungen umso präziser. In Deutschland legt die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) genau fest, bei welchen „Ereignissen“ die Hersteller in welcher Frist, in welcher Form und an welche Adressaten berichten müssen. Sie stellt auch zu den Rückrufen präzise Forderungen.
Weiterführende Informationen
In einem Beitrag zur MPSV lernen Sie diese Forderungen ebenso kennen wie die Definitionen von Begriffen wie Vorkommnis oder schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis.
MEDDEV 2.12/1 Revision 8
Um in Europa ein einheitliches Niveau zu erreichen, hat die EU-Kommission Leitlinien und Templates veröffentlicht. Besonders wichtig ist die MEDDEV 2.12/1 rev. 8 („Guidelines on a Medical Devices Vigilance System“).
Download
Sie können sich die MEDDEV 2.12/1 und die Templates auf der Seite der EU herunterladen.
Die MEDDEV stellt nicht nur Anforderungen an die Hersteller, sondern auch an die Behörden und an die benannten Stellen und bestimmt auch die Rolle der EU-Kommission.
Abbildung 2 gibt eine Übersicht über die Leitlinie (mit Fokus auf den Herstellern).

Abb. 2: MEDDEV-2.12/1 in der Übersicht (zum Vergrößen klicken)
IMDRF / GHTF
Das International Medical Device Regulators Forum (IMDRF) hat Dokumente der nicht mehr bestehenden Global Harmonization Task Force (GHTF) übernommen, die Richtlinien vor allem für das Meldewesen enthalten (Webseite des IMDRF zu den Richtlinien zum Meldewesen).
b) Änderungen durch die MDR
Die MDR stellt sehr spezifische Anforderungen an die Vigilanz. Das betrifft zum einen die Meldefristen
Meldefristen
Art des Ereignisses |
Meldefrist laut MDR |
Meldefrist laut MPSV |
Schwerwiegendes Vorkommnis |
unverzüglich, nicht später als nach 15 Tagen |
30 Tage |
Schwerwiegende Gefahr für öffentliche Gesundheit |
unverzüglich, nicht später als nach 2 Tagen |
unverzüglich |
Tod oder unvorhergesehenen schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands |
unverzüglich, nicht später als nach 10 Tagen |
unverzüglich |
Analyse und „Reporting“ von Trends
Im Gegensatz zur MPSV fordert die MDR nicht nur die Meldung von Vorkommnissen, sondern auch „jeden statistisch signifikanten Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades nicht schwerwiegender Vorkommnisse oder erwarteter unerwünschter Nebenwirkungen […]„. Das forderte allerdings auch die MEDDEV.
Sonstiges
Ebenfalls neu ist die Pflicht zur Meldung über die EUDAMED.
Viele Anforderungen, die die MDR im Kontext der Vigilanz stellt, wenden sich auch an die Behörden und die Kommission selbst.
Die MEDDEV wird auch unter der MDR ihre Relevanz nicht verlieren. Denn sie gibt präzisere Hinweise z.B. dazu, wann Zwischenfälle als kritisch einzuschätzen gibt. Auch gibt sie Beispiele für die Meldeformulare.
4. Tipps zur Umsetzung
Die Anforderungen an die Vigilanz waren dank nationaler Vorgaben schon immer ziemlich präzise. Dennoch oder daher gibt es immer wieder Probleme mit der Konformität.
Die folgenden Tipps mögen dazu beitragen, diese Probleme zu minimieren.
- Beschreiben Sie in Verfahrens- und Arbeitsanweisungen genau, wer im Fall des Falles was, auf welche Weise und wie schnell erledigen muss.
- Nutzen Sie Flussdiagramme. Sie sind schneller zu verstehen, als lange Texte.
- Legen Sie diese Anweisungen pro Land fest. Die nationalen Vorgaben unterscheiden sich, ebenso die Behörden, die zu informieren sind.
- Stellen Sie sicher, dass Sie die Begriffe wie „Vorkommnis“, „schwerwiegend“, „Rückruf“ usw. präzise definieren (so wie in den Regularien) und anhand von Beispielen erläutern, die für Ihre Produkte spezifisch sind.
- Halten Sie Formulare und/oder ein System bereit, mit dem Sie die Meldungen erfassen. Die MEDDEV ist hilfreich.
- Schulen Sie alle Beteiligten immer wieder. Üben Sie das Meldewesen anhand von konkreten Beispielen.
Geben Sie uns Bescheid, wenn wir Sie beim Aufbau, Verbessern und Überprüfen Ihres Vigilanz-Systems unterstützen können, beispielsweise mit Templates, weiteren Tipps, Schulungen oder Mockup-Audits.