Ein Medizinprodukt kann zu einem Schaden für Patienten, Anwender oder Dritte führen. Diesen Schaden muss der Hersteller bestimmen, um die Risiken durch sein Produkt bewerten und beherrschen zu können.
Dieser Artikel gibt Hilfestellung, um Schäden gemäß der ISO 14971 zu bestimmen und zu dokumentieren und den Begriff „Schaden“ korrekt zu verwenden.
1. Definition
Die ISO 14971 definiert den Begriff Schaden.
„Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt“
DIN ISO 14971:2022, Kapitel 3.3 mit Verweis auf ISO/IEC Guide 63:2019, 3.1
Die Schäden gemäß ISO 14971 sind üblicherweise:
- Beeinträchtigungen der Körperstruktur (z. B. Schnitt, Verbrennung, Knochenbruch)
- Beeinträchtigungen der Körperfunktion (z. B. Bewegungsfähigkeit, Sehfähigkeit; Fähigkeit, Blut zu reinigen).
- Verringerung der Lebenserwartung
- Psychische Beeinträchtigungen
Die letzteren gehören erst ab der dritten Ausgabe der ISO 14971 zu den Schäden. Davor waren Schäden auf physische Verletzungen und Schädigungen beschränkt.
Christian Rosenzweig und Christian Johner geben in dieser Podcast-Episode Tipps für den präzisen Umgang mit Begriffen wie Gefährdung, Gefährdungssituation und Schaden. Das ist hilfreich, um schnell und ohne unnötige Diskussionen präzise sowie normkonforme Risikomanagementakten zu erstellen.
Weitere Podcast-Episoden finden Sie hier.
Zu den Schäden laut ISO 14971 zählen auch Schäden für Güter oder die Umwelt. Sie umfassen damit auch finanzielle Schäden.
Es ist meist nicht zielführend, Schäden für Güter und Umwelt mit der gleichen Risikoakzeptanzmatrix zu bewerten wie Schäden für die Gesundheit. Das würde voraussetzen, dass die Schweregrade dieser Schäden vergleichbar sind. Beispielsweise müsste der Hersteller einen lebensbedrohlichen Schaden mit einer Geldsumme gleichsetzen.
2. Typische Fehler beim Bestimmen des Schadens
Fehler 1: Annahme, dass es einen (einzigen) Schaden gibt
Viele Hersteller vermuten, dass es einen Schaden gibt, den sie in die entsprechende Spalte in der „Risikotabelle“ eintragen müssen. Das ist größtenteils nicht zutreffend. Denn es gibt nicht nur einen Schaden, sondern eine ganze Schadenskette, bei der jedes einzelne Glied einen Schaden im Sinne der Definition bedeutet (s. Abb. 1).
Jedes Element dieser Ursachenkette genügt der Definition der ISO 14971; denn jedes Element stellt eine physische Verletzung oder Schädigung der Gesundheit dar.
Jedes Element dieser Schadenskette wird mit einer anderen Wahrscheinlichkeit auftreten und damit ein anderes Risiko im Sinn der ISO 14971 darstellen.
Fehler 2: Annahme der „Linearität“ der Schadenskette
Die Ursachenketten sind meist komplex und nicht so linear, wie es in Abbildung 1 dargestellt ist. Dies macht Abbildung 2 deutlich:
Wenn Sie eine Risikoanalyse durchführen, speziell diesen letzten Teil der Ursachenkette untersuchen wollen, benötigen Sie
- eine Ärztin oder einen Arzt und
- einen Risikomanager, der die Ergebnisse dieser Ärztin oder dieses Arztes in der Risikomanagement-Akte konsistent und konform mit den Forderungen der ISO 14971 dokumentiert.
Fehler 3: Angabe von Schäden, die keine Schäden sind
Regelmäßig finden sich in der mit „Schaden“ überschriebenen Spalte der Risikotabelle folgende Einträge:
- Defektes Produkt
- Serious Adverse Event
- Schaden für Patienten
- Teure Nachbesserung
Erkennen Sie die Probleme? Eine Auflösung finden Sie am Ende des Artikels.
Fehler 4: Schäden übersehen
Schäden zu identifizieren ist eine Aufgabe der Gefährdungs- bzw. Risikoanalyse. Diese Analyse muss methodisch erfolgen.
Lesen Sie hier mehr zur Risikoanalyse und den dort eingesetzten Methoden wie FMEA, PHA und FTA.
Schäden, die häufig „übersehen“ werden, entstehen durch
- Anwendungsfehler,
- vorhersehbaren Missbrauch,
- sonstigen Bestimmungsgemäßen Gebrauch (z. B. Lagerung, Transport, Reinigung)
- Produktion
- Nichterreichen der Zweckbestimmung (z. B. dem verzögerten oder falschen Anzeigen von Laborwerten bei einem IVD oder dem unzureichenden Entfernen dialysepflichtiger Substanzen aus dem Blut bei einer Dialysemaschine).
Lassen Sie uns wissen, wenn Sie beim Bestimmen von Schäden Unterstützung wünschen: Kontaktieren Sie uns gerne über unser Kontaktformular.
Fehler 5: Fehlerhafte Bewertung der Schäden
Um die Risiken zu bestimmen, müssen die Hersteller die Wahrscheinlichkeit und die Schweregrade abschätzen, mit denen die Schäden auftreten.
Lesen Sie hier, wie Sie Schweregrade von Schäden präzise quantifizieren und bestimmen.
3. Fazit
Wer eine stabile Basis für eine belastbare und ISO-14971-konforme Risikomanagement-Akte, wünscht, muss auch den Begriff „Schaden“ präzise verwenden. Das erfordert es, die oben genannten Fehler zu kennen und zu vermeiden. Kompetenten Risikomanagement-Teams gelingt das am besten.
Die Seminare des Johner Instituts zum Risikomanagement und die Johner Academy helfen dabei, diese Kompetenzen sicherzustellen.
Änderungshistorie
- 2024-10-01: Beitrag komplett neu geschrieben. Dazu auch Inhalte aus dem Beitrag zu den Schweregraden von Schäden übernommen.
- 2014-03-14: Erste Version des Artikels veröffentlicht
Auflösung
Eintrag in Spalte „Schaden“ | Kommentar |
Defektes Produkt | Ein defektes Produkt wäre theoretisch ein Güterschaden und damit ein Schaden im Sinne der Definition der ISO 14971. Ein defektes Produkt wäre aber zunächst genauer zu beschreiben und dann zu entscheiden, unter welche Kategorie es fällt. Beispiele: – „Defektes Produkt“ im Sinne von Fehlfunktion oder kompletter Produktausfall (fehlende Verfügbarkeit des Produktes für dringenden diagnostischen oder therapeutischen Einsatz): Hier wäre das defekte Produkt kein Schaden, sondern eine Gefährdung, die zu einem Schaden am Patienten führen kann (z. B. Hypoxie oder Tod bei einer defekten Beatmungsmaschine im Betrieb). – „Defektes Produkt“ im Sinne von scharfkantiges Gehäuse durch Materialbruch: Hier wäre das defekte Produkt kein Schaden, sondern eine Gefährdung, die zu einem Schaden am Anwender, Patienten oder Dritten führen kann (z. B. eine Schnittverletzung). – „Defektes Produkt“ im Sinne eines alleinigen wirtschaftlichen Schadens am Produkt selbst wird durch das Risikomanagement nach ISO 14971 nicht berücksichtigt. |
Serious Adverse Event | Dieser Schaden ist unspezifisch beschrieben. „Serious“ entspricht einem Schweregrad. Dieser ist in einer anderen Spalte zu dokumentieren. |
Schaden für Patienten | Dieser Schaden ist unspezifisch beschrieben. Es genügt nicht, nur anzugeben, wen der Schaden betrifft. |
Teure Nachbesserung | Siehe Kommentar zu „Defektes Produkt“. Eine Gleichsetzung von ökonomischen und gesundheitlichen Schäden ist ethisch schwierig. Daher ist es besser, diese „Schadentypen“ in unterschiedlichen Risikoakzeptanzmatrizen zu bewerten. |