Unter Dokumentenlenkung versteht man ein dokumentiertes Verfahren, das festlegt, wie Dokumente erstellt, geprüft, genehmigt, gekennzeichnet, verteilt und aktualisiert werden.
1. Ziel der Dokumentenlenkung
Für Auditoren gilt: Was nicht dokumentiert ist, das existiert nicht. Entsprechend wichtig sind Dokumente und Aufzeichnungen auch im Audit.
Was unter der Dokumentenlenkung zu verstehen ist, wird im Englischen mit „Control of Document“ klarer: Man stellt sicher, dass
- nur die richtigen (korrekten, vollständigen) Informationen
- zum richtigen Zeitpunkt
- bei den richtigen Adressanten
verfügbar sind. Das wiederum bedingt, dass
- keine ungültigen, falschen, unvollständigen Informationen verteilt werden,
- ungültige Informationen zurückgezogen werden,
- man weiß, wer diese Informationen erhalten muss,
- diese Personen über neue, geänderte oder gelöschte Dokumente informiert und
- man sicherstellt, dass diese Personen, diese Informationen auch verstehen.

2. Regulatorische Anforderungen an die Dokumentenlenkung
Genau die eben genannten Aspekte finden sich in den Normen wie der ISO 13485. Sie fordern, dass man festlegt (dokumentiert natürlich :-)), wie man
- Dokumente bewertet, bevor man sie verteilt,
- Dokumente aktualisiert und genehmigt,
- sicherstellt, dass Änderungen erkennbar sind,
- gewährleistet, dass die Dokumente verfügbar sind (und auch lesbar bleiben),
- sicherstellt, dass keine alten Versionen im Umlauf sind und
- die Dauer bestimmt, für die man Dokumente aufbewahren will (wobei es hier konkrete Mindestanforderungen gibt).
Die ISO 13485 spricht nicht von der Freigabe der Dokumente, sondern von deren Genehmigung.
Im Artikel zur Dokumentenfreigabe finden Sie eine noch ausführlichere Übersicht über die regulatorischen Anforderungen.
Dieser Artikel gibt Ihnen Tipps, wie Sie Ihre Dokumente noch schneller prüfen und freigeben können.
3. Typische Probleme: Was im Audit immer wieder schief geht
In den Audits stoßen Hersteller und Auditoren regelmäßig auf ähnliche Probleme:
- Die Dokumente bzw. Informationen sind unbekannt. Fragen Sie mal einen Mitarbeiter am Band, was die Qualitätspolitik ist…
- Am Arbeitsplatz liegt eine veraltete Arbeitsanweisung.
- Die internen Audits haben die Dokumentenlenkung nicht geprüft.
- Es ist nicht eindeutig, auf welche Produkt- oder Software-Version sich Dokumente beziehen.
- Für eine Produkt- oder Software-Version gibt es keine aktualisierten Dokumente.
- Die Entwicklungsdokumente wie der Entwicklungsplan wurden freigegeben, nachdem die Entwicklung längst gestartet war.
- Die Verfahrensanweisung legt nicht fest, wie lange welche Dokumententypen wie aufzubewahren sind, oder sie ignoriert gesetzliche Vorgaben.
- Es fehlen festgelegte Prüfkriterien, anhand die verschiedenen Dokumententypen jeweils zu bewerten sind. Eine Unterschrift alleine genügt nicht.
- Im Dateisystem oder im SharePoint finden sich Dokumente, die den Status (z.B. Entwurf, freigegeben, zurückgezogen) nicht erkennen lassen.
- Im Dateisystem befinden sich mehrere Dateien des gleichen Namens aber mit verschiedenen Inhalten.
- Der Hersteller kann nicht erklären, ob und wie er Dokumente wie Arbeits- oder Verfahrensanweisungen geschult hat bzw. weshalb das nicht notwendig war.
- Geänderte Vorgabedokumente wurden nicht erneut geschult.
Das Johner Institut erlebt regelmäßig Audits, in denen die Dokumentenlenkung zu Abweichungen führt. Diese Beanstandungen sind nicht Ausdruck eines überbordenden Formalismus, sondern meist eines Chaos beim Medizinprodukte-Hersteller, das nicht auf die Dokumente beschränkt ist.
4. Möglichkeiten, um Dokumente zu lenken
a) Übersicht
Den Herstellern stehen zahlreiche technische Möglichkeiten zur Verfügung, um ihre Dokumente zu lenken. Dazu zählen
- Dateisystem, Netzwerklaufwerke
Hier sollten Sie Lese- und Schreib-Berechtigungen klar regeln und sicherstellen, dass alle Personen auch Zugriff haben. Das ist besonders in der Produktion ein Thema. - Cloudspeicher
Mit Diensten wie Dropbox oder Google Drive und deren Mobil-Clients können Ihre Mitarbeitenden leicht auf Dokumente zugreifen. Die Einschränkung von Lese- oder Schreibrechten gelingt aber nicht so einfach. - Dokumentenmanagementsysteme
Anwendungen wie Microsoft Sharepoint (auch als Cloud-Service verfügbar) oder Alfresco vereinfachen die Versionierung und erlauben die Definition von Dokumenten-Workflows zum Erstellen, Prüfen, Freigeben, Veröffentlichen und Zurückziehen von Dokumenten. Die Schwierigkeiten liegen meist im Detail, im Aufsetzen und Konfigurieren der Werkzeuge sowie in deren Schulung. - Wiki -> PDF
Einige Firmen arbeiten mit Wiki-Systemen wie Confluence und nutzen entweder Plug-ins zur Freigabe (elektronische Unterschrift) oder exportieren die Dokumente nach PDF — d.h. sie nutzen das Wiki „nur“ als Editor. Die Werkzeuge unserer Schwesterfirma Medsoto wie das MedPack und das DocuPack ersparen sogar das Ausdrucken. - Versionsverwaltungssysteme
Bei Firmen, die entwicklungsnah arbeiteten, setzen meist bereits Versionsverwaltungssysteme wie SVN oder GIT ein. Diese Systeme eigenen sich aber eher für rein textuelle Dokumente z.B. in Markdown. Die Benutzerfreundlichkeit ist für technophobe Menschen oft ein Thema. Andererseits eröffnen Feature wie Branching, Tagging, Commit-Kommentare und die Einbindung in Build-Tools neue Möglichkeiten. Mehr dazu finden Sie im nächsten Kapitel beschrieben.
b) Dokumentenlenkung (nur für Techies)
Workflow mit GIT, Pandoc und Jenkins
Am Institut setzten wir eine Kombination der Werkzeuge GIT, Pandoc und Jenkins ein. Inzwischen haben wir Panddoc durch eine Eigenentwicklung ersetzt.
Mit dieser Tool-Chain erreichen wir folgenden Workflow:
- Dokument in Markdown
Der Autor erstellt ein Dokument in Markdown. Das ist eine sehr einfache rein textbasierte Sprache, die sehr einfach zu erlernen ist. Beispielsweise Unterstreicht man einen Text mit Gleichheitszeichen („=======“), um ihn als Überschrift zu kennzeichnen. Diese Texte sind direkt sehr gut lesbar, werden zudem in Systemen wie Github als schön formatierte Webseiten angezeigt. - Speicherung der Dokumente in GIT (mit entsprechenden Branches)
Der Autor commited seine Änderungen bzw. sein neues Dokument auf einen Entwicklungs-Branch. Sobald er freigegeben wird, werden die Änderungen auf den Master-Branch „gemerged“. Wenn wir an Kunden-Dokumenten arbeiten erzeugen wir eigene Branches. - Erzeugen von Word-Dokumenten
Jeder Commit triggert einen Build-Prozess, der automatisch die Word-Dokumente erzeugt, weil unsere Kunden lieber mit Word arbeiten. Diese Word-Dokumente werden beim Build automatisch versioniert und im Versionsverwaltungssystem gespeichert. - Arbeiten mit den Word-Dokumenten
Optional können Anwender diese Dokumente mit ihrem Rechner synchronisieren.
Bei unserem eigenen Qualitätsmanagementsystem verzichten wir auf auf die Generierung von Word-Dokumenten. Wir lenken die Dokumente über git bzw. GitLab.
Bewertung
Vorteile
- Klarer, transparenter Workflow
- Einfaches Nachvollziehen von Änderungen über die Git-Bordmittel (das ist bei Word nur über Vergleichsfunktion aufwendiger möglich)
- Einheitliches Dokumentenlayout. Durch ein Anpassen des Templates bekommen alle Dokumente ein entsprechendes Layout.
- Arbeiten mit mehreren Versionen parallel: Wir können Verbesserungen, die wir für einen Kunden erarbeitet haben, einfach in unseren Master-Branch zurück-mergen.
- Die Dokumente stehen den Anwendern im gewohnten Word-Format zur Verfügung
- Eine Konvertierung in PDF, LaTeX, HTML usw. ist „built-in“
Nachteile
- Das System aus Git, Pandoc und Jenkins (einschließlich Build-Skript) muss aufgesetzt und eine entsprechende Tool-Landschaft gepflegt werden.
- Das Erstellen und Ändern von Dokumenten bedarf mehr als nur Word-Kenntnisse.
- Die Markdown-Sprache erlaubt nur eingeschränkte Layout-Anpassungen (obwohl selbst Text-Ausrichtungen in Tabellen, Listen in Listen, Fußzeilen usw. möglich sind).
5. Zusammenfassung
Ohne eine präzise Dokumentenlenkung haben Sie wenig Chancen, ein Audit erfolgreich zu bestehen. Sie schaffen sich aber nicht nur unnötige regulatorische Risiken, sondern erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Produkte und Dienstleistungen nicht konform sind und Patienten gefährden.
Eine sorgfältig zusammengestellte Tool-Chain wird Ihnen helfen, den „Overhead“ bei der Dokumentenlenkung zu minimieren und sicher zu stellen, dass die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt über die richtigen Informationen verfügen und diese auch verstehen.
Sie haben eine sehr interessante Lösung für ein extrem wichtiges Thema gefunden!
Wie/ mit welchem Aufwand haben Sie denn das Thema Validierung der einzelnen Systeme und ihr Zusammenwirken auditsicher gelöst? Und wie funktioniert die Validierung bei neuen Versionen der Einzeltools, die ja mindestens teilweise Freeware sind?
Freundliche Grüße
Thomas Zschaeck
Besten Dank für die spannende Frage, Herr Zschaeck!
Ob ein Werkzeug Freeware ist oder nicht, hat keine wirkliche Auswirkung auf die Validierung. Die meisten Tools sind sogar Open Source, d.h. eine Überprüfung im Code wäre — im Gegensatz zu den typischen kommerziellen Werkzeugen — möglich.
Da es aber um eine Validierung und nicht eine Verifizierung geht, ist sogar das — zum Glück — nur bedingt relevant.
Relevant ist v.a. die Frage, ob eine Validierung überhaupt notwendig ist. Das würde man immer dann bejahen, wenn man dem Endergebnis nicht oder nicht leicht „ansehen“ kann, ob es den Anforderungen genügt. Bei einem Word-Dokument dürfte so eine Prüfung durch Inspektion gut möglich sein.
Dennoch halte ich für Ihren Gedanken für sehr, sehr wichtig. Das Zusammenspiel würde ich — insbesondere da viele Systeme zusammenspielen — validieren. Der Aufwand für so eine Validierung ist aber sehr endlich. Wir erledigen das in solche einem einfachen Fall in wenigen Stunden.
Falls Ihnen meine Antwort nicht ausreicht oder Sie weitere Fragen haben, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen.
Beste Grüße, Christian Johner
Sehr interessanter Ansatz mit pandoc.
Haben Sie eine Möglichkeit bei sich gefunden, wie Dokumente / Anforderungen verlinkt werden können. Und wie man dann eine tracebility herstellen kann?
Ich denke auch die Validierung ist eher ein kleines Problem bei solch einfachen Tools.
Gruß,
Wiesener
Sehr geehrter Herr Prof. Johner & Kollegen,
mein Anliegen betrifft die, auf einem Dokument selbst, vorhandene Revisionshistorie.
Welches Datum ist in der Revisionshistorie aufzuführen: Ist es das Datum der Freigabe der Änderung oder
das verwaltungstechnische „In-Kraftsetzungsdatum“ zur unternehmensweiten Veröffentlichung?
Wird ein Dokument reversioniert, können die Unterschriften nicht vor dem Datum des neuen Revisionsstands geleistet werden, korrekt?
Vielen Dank vorab für Ihre Hilfe.
Mit freundlichen Grüßen
C.Kalle
Sehr geehrter Herr Kalle,
Danke sehr für Ihre Fragen, die ich gern beantworte.
Welches Datum Sie eintragen, bestimmen Sie selbst. Wichtig ist, dass die Festlegung anschließend unternehmensweit einheitlich angewendet wird. Sie könnten auch zwei Datumsfelder unterscheiden: eines, dass die erfolgreiche Prüfung kennzeichnet und eines, die Veröffentlichung. Egal, worauf Sie sich einigen, die Regelung sollte in Ihrer Dokumentenlenkung verankert sein.
Wird ein Dokument überarbeitet, sollten die Datumsangaben in Übereinstimmung mit den Vorgaben Ihrer Dokumentenlenkung sein. Manche Unternehmen planen zwischen Fertigstellung eines Dokuments, also Freigabe, und unternehmensweiter Veröffentlichung, Schulungen für relevante MitarbeiterInnen. Dann liegen die Datumsangaben von Prüfenden und Freigebenden bspw. vor dem Datum der Veröffentlichung.
Herzliche Grüße und ein gesundes, neues Jahr für Sie
Maria Keller
Danke für den Artikel! Für Menschen die sich mit Qualitätsmanagement beschäftigen, ist die Dokumentenlenkung ein wichtiges Thema.
Vielen Dank für Ihre wertschätzenden Zeilen! Darüber freuen wir uns immer sehr.
Herzliche Grüße auch im Rahmen unseres QM-Teams
Tea Bodrusic
Auch von mir ein Dankeschön! Ich habe noch eine Frage: Wie regelt man als MP-Hersteller die Dokumenten- und Aufzeichnungsaufbewahrung im Falle einer Geschäftsaufgabe (oder -übernahme)?
Sehr geehrte Frau Krist,
meine Kollegin Maria Keller beantwortet Ihre Frage wie folgt:
„Danke für Ihr positives Feedback und entschuldigen Sie zunächst die späte durch die Urlaubszeit bedingte Antwort! Im Falle einer Geschäftsaufgabe müssen die geltenden Aufbewahrungsfristen eingehalten werden, sofern sich noch Produkte im Umlauf befinden (zum Beispiel bei Händlern oder KundInnen oder PatientInnen), deren Lebensdauer offiziell noch nicht abgelaufen ist. Im Fall der Fälle müssen Sie oder jemand, der das Geschäft übernimmt, in der Lage sein in den vorhandenen Unterlagen nach Ursachen für (potentielle) Vorkommnisse zu suchen. Bei einer Geschäftsübernahme gilt das beschriebene ebenso.“
Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter!
Herzliche Grüße
Tea Bodrusic