Die IEC 60601-1 definiert wesentliche Leistungsmerkmale als Leistungsmerkmale, die erforderlich sind, um Freiheit von unvertretbaren Risiken zu erreichen.
Dieser Artikel soll klären, was die Norm damit meint und wie sich diese wesentlichen Leistungsmerkmale von der Basissicherheit abgrenzen.
Wesentliche Leistungsmerkmale: Regulatorische Anforderungen
Die IEC 60601-1 fordert von den Medizinprodukte-Herstellern, dass diese
- die wesentlichen Leistungsmerkmale ihrer Produkte festlegen,
- durch Prüfung sicherstellen, dass deren Produkte die wesentlichen Leistungsmerkmale auch tatsächlich erfüllen,
- dabei bestimmte Prüfverfahren anwenden und
- all dies durch eine geeignete Dokumentation nachweisen.
Bei programmierbaren elektrischen medizinischen Systemen (PEMS), die Komponenten beinhalten, die wesentliche Leistungsmerkmal „bewirken“, stellt die IEC 60601-1 darüber hinaus Anforderungen an die Entwicklung, die Problemlösung, den Risikomanagementprozess sowie die Verifizierung und Validierung.
Beachten Sie, dass in einigen Partikularnormen, also den Normen der Reihe IEC 60601-2-x, wesentliche Leistungsmerkmale explizit formuliert sind. Das vereinfach die Überlegungen ;-).
Was sind wesentliche Leistungsmerkmale?
Definition: Wesentliches Leistungsmerkmal
„Leistungsmerkmal einer klinischen Funktion, die sich nicht auf die Basissicherheit bezieht, bei dem der Verlust oder die Verschlechterung über die vom Hersteller spezifizierten Grenzen hinaus zu einem unvertretbaren Risiko führt“Quelle: IEC 60601-1
Es gibt trotz dieser Definition immer wieder Unsicherheiten, was nun wesentliche Leistungsmerkmale sind. Dessen scheint sich die Norm bewusst zu sein, weshalb sie die Definition um eine Anmerkung ergänzt:
Wesentliche Leistungsmerkmale sind am einfachsten zu verstehen, indem man überlegt, ob deren Nichtvorhandensein oder Verschlechterung zu einem unvertretbaren Risiko führen würde.
Aber auch das hilft noch nicht endgültig weiter, weil die Abgrenzung zur Basissicherheit nicht so richtig gelingt.
Basissicherheit und Beispiele
Die Norm definiert die Basissicherheit wie folgt:
Definition: Basissicherheit
„Freiheit von unvertretbarem, durch physikalische Gefährdungen direkt verursachtem Risiko, wenn das ME-GERÄT im Normalzustand und bei einem ersten Fehler benutzt wird.“Quelle: IEC 60601-1
Bei der Basissicherheit spricht man häufig von einem „passiven Schutz“, der für den Gerätetyp unspezifisch ist. Dazu zählt ein Schutz vor
- einem Gehäuse, das unter Spannung steht,
- einem überhitzten Gerät,
- einer abbrechenden Haltung oder
- einem explodierenden Akku.
Wesentliche Leistungsmerkmale und Beispiele
Hingegen sind die wesentlichen Leistungsmerkmale typisch für den Gerätetyp wie beispielsweise die Fähigkeit
- des Bestrahlungsgerät genau im geplanten Winkel mit der geplanten Dosis zu bestrahlen,
- des Laborgeräts Laborparameter in der spezifizierten Genauigkeit zu messen (Anmerkung: die IEC 60601-1 ist für IVD nicht harmonisiert),
- des Kühlschranks für Blutbeutel wirklich zu kühlen oder
- der Pumpe der Herz-Lungen-Maschine wie eingestellt zu drehen und das Blut zu fördern.

Wesentliche Leistungsmerkmale und Software
Auch Software — sowohl standalone Software als auch Software als Teil eines Medizinprodukts — kann wesentliche Leistungsmerkmale implementieren. Denken Sie an eine standlone Software zur Dosisberechnung von Zytostatika oder eine embedded Software, die die Pumpe bei der oben diskutierten Herz-Lungen-Maschine steuert.
Produkte ohne wesentliche Leistungsmerkmale?
Es ist zwar generell möglich, dass Sie Medizinprodukte ohne wesentliche Leistungsmerkmale entwickeln, weil ein Fehler nicht zu inakzeptablen Risiken führt. Bedenken Sie aber Folgendes:
- Produkte ohne Risiken haben oft keinen Nutzen. Haben Sie auch letzteren präzise in Ihrer Risikomanagementakte quantifiziert?
- Die Aussage, dass Ihr Produkt über keine wesentlichen Leistungsmerkmale verfügt, kann Ihre Auditoren bzw. Prüfer anspornen, Ihnen das Gegenteil zu beweisen.
- Die ISO 14971:2012 verlangt, dass Sie jedes Risiko so weit wie möglich reduzieren. Es gibt also keine generell akzeptablen Risiken.
Im Auditgarant lernen Sie nicht nur mit Begrifflichkeiten der IEC 60601-1 umzugehen, sondern auch deren konkrete Forderungen umzusetzen.