Die Normenfamilie IEC 61010 stellt Sicherheitsanforderungen an elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte. Die Basisnorm IEC 61010-1 und die Partikularnormen der Serie IEC 61010-2 beschreiben den Stand der Technik und dienen damit IVD-Herstellern zum Nachweis der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhang I der IVD-Verordnung (IVDR).
1. Die IEC 61010 Normenreihe
a. Anwendungsbereich
Die IEC 61010 ist eine Normenreihe, die Sicherheitsbestimmungen für elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte formuliert.
Der Begriff Labor ist nicht nur im Sinn eines medizinischen Labors zu verstehen. Beispielsweise fallen auch Geräte für ein Lebensmittellabor in den Anwendungsbereich der Normen-Serie.
Die Normenreihe ist in Teil-1 und Teil-2 Normen unterteilt.
b. IEC 61010-1: Die Basisnorm
Die Basisnorm IEC 61010-1 legt die grundlegenden allgemeinen Sicherheitsanforderungen fest, die gleichermaßen für alle elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte gelten, unabhängig von ihrer spezifischen Anwendung.

Labor- und IVD-Geräte sind Prozessanlagen, in denen Proben in mehreren Schritten für eine Analyse oder Messung auf- und vorbereitet werden. Die Proben werden beispielsweise bestrahlt, geheizt, gekühlt, elektrisch aktiviert, weitergeleitet, gerührt oder geschüttelt.
Laborgeräte beherbergen somit eine große Anzahl an Gefährdungen für Personen und die Umwelt. Daher enthält die Norm in den Abschnitten 6 bis 13 spezifische Sicherheitsanforderungen an den Schutz gegen diese Gefährdungen gegenüber Benutzern und des Umgebungsbereichs.
- Elektrische Gefährdungen
- Mechanische Gefährdungen
- Gefährdungen durch Austritt von Flammen
- Thermische Gefährdungen
- Gefährdungen durch Flüssigkeiten und deren Druck
- Gefährdungen durch Gase
- Gefährdungen durch Strahlungen
Entsprechend den Vorgaben der IVDR und der ISO14971 folgt die Norm dem Konzept der integrierten Sicherheit und spezifiziert Anforderungen auf verschiedenen Ebenen:
- Begrenzung von gefährlichen Energien
- Schutzmaßnahmen zur Beherrschung von Gefährdungen
- Hinweisende Sicherheitstechnik (Informationen)
Nicht abgedeckt sind Risiken aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit, elektromagnetischer Störeinflüsse oder durch Softwarefehler. Stand-alone Software wird zwar mit Strom betrieben, fällt aber nicht in den Anwendungsbereich der Normenreihe.
c. IEC 61010-2-xx: Die Partikularnormen
Die Normen der Serie IEC 61010-2 enthalten zusätzliche oder modifizierte Anforderungen, die speziell auf bestimmte Geräteklassen oder Anwendungen zugeschnitten sind. Das Ziel dieser Teil-2 Normen besteht darin, anwendungsspezifische Risiken abzudecken, die sich aus bestimmten technischen Aspekten wie Heizen oder Kühlen ergeben.
- Teil 2-010: Besondere Anforderungen für Laborgeräte für das Erhitzen von Stoffen
- Teil 2-081: Besondere Anforderungen für automatische und semiautomatische Laborgeräte für Analysen und andere Zwecke
- Teil 2-101: Besondere Anforderungen an In-vitro-Diagnostik (IVD) Medizingeräte
- Teil 2-120: Besondere Sicherheitsanforderungen für Maschinen-Aspekte der Geräte
Die IEC 61010-2-101 ist eine für In-vitro-Diagnostik (IVD) harmonisierte Norm.
d. Zusammenspiel der Teil-1 und Teil-2 Normen
Die Teil-2 Normen ergänzen oder modifizieren die entsprechenden Abschnitte der Norm IEC 61010-1. Sie sind daher kapitelgleich aufgebaut (siehe Abb. 2).

Ein IVD-Produkt, das z. B. in den Geltungsbereich der IEC 61010-2-101 fällt, muss sowohl die Anforderungen der IEC 61010-1 als auch die der IEC 61010-2-101 erfüllen. Die Teil-2-Norm überschreibt dabei bestimmte Anforderungen der Teil-1-Norm oder ergänzt diese.
e. Abgrenzung des Geltungsbereichs zwischen IEC 61010-1 und IEC 60601-1
Geltungsbereich der IEC 61010
In den Geltungsbereich der IEC 61010 fallen alle elektrisch betriebenen Geräte und deren Zubehör, die in folgende Anwendungsbereiche fallen:
- Geräte, die physikalische Größen prüfen, messen, anzeigen oder aufzeichnen, auch nicht messende Geräte wie Signalgeneratoren
- Geräte, die eine oder mehrere Ausgangsgrößen auf bestimmte Werte regeln
- Prüfgeräte, die in Fertigungsprozesse integriert und für die Prüfung gefertigter Einrichtungen vorgesehen sind
- Geräte zum Messen, Anzeigen, Überwachen, Prüfen oder Analysieren von Materialien oder zur Aufbereitung von Materialien, einschließlich Geräte für die In-vitro-Diagnostik (IVD)
Geltungsbereich der IEC 60601-1
Nicht in den Geltungsbereich fallen Medizinprodukte, die mit dem Patienten verbunden sein müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, die also ein sogenanntes Anwendungsteil haben. Die Sicherheit und Leistung für solche Medizinprodukte (Medizinisch Elektrische Geräte/Systeme) wird durch die Normenreihe der IEC 60601-1 abgedeckt. Hingegen geht die IEC 61010-1 davon aus, dass nur (gesunde) Anwender mit dem Gerät in Berührung kommen.
Beispiele
Beispiele für die Anwendungsbereiche von Medizinprodukten und der führenden Sicherheitsnorm.
Elektrisches Medizinprodukt | Verbindung zum Patienten? | Norm |
PCR-Test Gerät | Nein | IEC 61010-1 |
Beatmungsgerät | Ja, Schlauchset | IEC 60601-1 |
Pipettiersystem zur Probenvorbereitung | Nein | IEC 61010-1 |
EKG-Gerät | Ja, EKG-Elektroden | IEC 60601-1 |
Gerät für externe Blutgasanalyse | Nein | IEC 61010-1 |
Blutzuckermessgerät (Selbsttest) | Ja, Stechlanzette | IEC 60601-1, ISO 15197 |
Blutzuckermessgerät im Labor | Nein | IEC 61010-1 |
Sonderfälle
Die Abgrenzung zu medizinisch elektrischen Geräten ist klar, bei bestimmten Komponenten jedoch nicht immer eindeutig. Ein Netzteil kann z. B. unter die IEC 62368 (IT-Geräte) oder die IEC 61010-1 (Laborgeräte) fallen. Ist es speziell für Laboranwendungen entwickelt, gilt die IEC 61010-1. Wird ein Standardnetzteil nach IEC 62368 eingesetzt, muss geprüft werden, ob es z. B. die strengeren Anforderungen an Feuchtigkeit und Flüssigkeiten erfüllt.

2. IEC 61010-2-101: Besondere Anforderungen an IVD
a. Anwendungsbereich
Die IEC 61010-2-101 gilt für Geräte, die für medizinische Zwecke der In-vitro-Diagnostik (IVD) bestimmt sind, einschließlich IVD-Geräte für Selbsttests, also für alle In-vitro-Diagnostika im Sinn der Definition in der IVDR-Verordnung. Der Begriff Selbsttest bezieht sich dabei auf Geräte, die von Laien in einer häuslichen Umgebung angewendet werden.
In den Geltungsbereich fallen auch Computer oder Teile davon, die Teil des IVD sind, und explizit dazu entwickelt wurden, um mit diesen Geräten genutzt zu werden.
b. Anforderungen der IEC 61010-2-101
Die IEC 61010-2-101 ist vorgesehen, in Verbindung mit der Basisnorm (IEC 61010-1) verwendet zu werden. Sie adressiert die gleichen physikalischen Gefährdungen, wie die Basisnorm und enthält zusätzliche Anforderungen bezüglich chemischer und biologischer Gefährdungen.
Die Norm spezifiziert die Anforderungen in den folgenden Bereichen genauer oder ergänzend (Stand EN 61010-2-101:2024).
Abschnitt | Ergänzungen (Auswahl) |
5 – Kennzeichnung und Dokumentation | Angaben auf dem Typenschild Zu verwendende SymboleKennzeichnung von AnschlüssenHinweise zum Aufstellen und EinrichtenHinweise für TransportHinweise für Betrieb und EntsorgungHinweise zur Lebensdauer |
6 – Schutz gegen elektrischen Schlag | Zusätzliche Testanforderungen |
7 – Schutz gegen mechanische Gefährdungen | Nicht offensichtliche Gefährdungen, wie: – Scharfe Kanten – Bewegte Massen – Umfallen, Einklemmen, Quetschen – Herausschleudern von Teilen Hinweis: Die Vorgaben der IEC 61010-1 mindern die Risiken bzgl. mechanischer Gefährdungen ausreichend |
8 – Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Beanspruchung | Weitere Anforderungen an Transport und Lagerung |
9 – Schutz gegen die Ausbreitung von Feuer | Keine zusätzlichen oder geänderten Anforderungen |
10 – Schutz vor übermässiger Hitze und Kälte | Keine zusätzlichen oder geänderten Anforderungen |
11 – Schutz gegen Gefährdungen durch Flüssigkeiten und feste Fremdkörper | Keine zusätzlichen oder geänderten Anforderungen |
12 – Schutz gegen Strahlung, einschließlich Laserquellen, und gegen Schall- und Ultraschalldruck | Schutz gegen die Auswirkungen von intern erzeugter ultravioletter, ionisierender und Mikrowellenstrahlung, Laserquellen, Schall- und Ultraschalldruck sowie elektromagnetischer Strahlung |
13 – Schutz gegen freigesetzte Gase und Stoffe, Explosion und Implosion | Zusätzliche Anforderungen bezüglich biogefährdender Stoffe |
14 – Bauteile und Unterbaugruppen | Zusätzliche Anforderungen an Vorrichtungen zum Schutz vor Überhitzung |
15 – Schutz durch Verriegelungen | Zuverlässigkeitsfaktoren können mit Methoden der funktionalen Sicherheit bestimmt werden |
16 – Gefährdungen aus der Anwendung | Hinweis, dass Risiken bzgl. ergonomischer Aspekte gemäss der IEC 62366 betrachtet werden sollen |
17 – Risikomanagement | Anforderung, dass das Risikomanagement nach der ISO 14971 durchgeführt werden muss. |
Die IEC 61010-2-101 enthält keine Leistungsanforderungen and IVD Geräte, die mit der Zweckbestimmung zusammenhängen. Die Leistungsanforderungen stehen entweder in weiteren Normen, wie zum Beispiel der ISO 15197 für Blutzuckermessgeräte oder müssen vom Hersteller spezifiziert werden.
Im Gegensatz zur IEC 60601-1 enthält die Norm keine Anforderungen an die Entwicklung von Software.
c. Zusammenspiel mit anderen Teil-2 Normen
IVD-Produkte, die auch technische Eigenschaften haben, die in anderen Teil-2 Normen adressiert sind, wie zum Beispiel bei Zentrifugen müssen zusätzlich die entsprechende Teil-2 Norm erfüllen.
Beispielsweise müsste ein maschinelles Analysesystem, dass große Probenvolumen verarbeitet und schnelle bewegte Achsen enthält, neben der IEC 60601-2-101 auch den Teil 2-120 („Besondere Sicherheitsanforderungen für Maschinen-Aspekte“) erfüllen.
d. Zusammenspiel mit dem Risikomanagement
Allgemeines
Die Normenreihe kann als Risikoanalyse verstanden werden. Sie adressiert Risiken im Zusammenhang mit physikalischen, chemischen und biologischen Gefährdungen. Für Risiken, die in der Norm nicht adressiert werden, verlangt die Basisnorm IEC 61010-1 die Analyse und Beherrschung dieser Risiken, macht aber keine Vorgaben für die Anwendung eines bestimmten Risikomanagementverfahrens.
Zusammenspiel mit der ISO 14971
Hingegen verlangt die IEC 61010-2-101 im Abschnitt 17 explizit das Risikomanagementverfahren nach den Vorgaben der ISO 14971 durchzuführen.
Bei der Norm für ME-Geräte IEC 60601-1 sind die Aktivitäten zur Überwachung der Produktion und die der Produktion nachgelagerten Phasen ausgeschlossen. Nicht so bei der IEC 60601-2-101. Hersteller müssen somit zum Nachweis der Konformität eine vollständige Risikoakte nach ISO 14971 erstellen.
Lesen Sie hier mehr zur Anwendung der ISO 14971.
Zusammenspiel mit weiteren Normen
Als weiter Methode nennt die Norm die Anwendung der Methoden der funktionalen Sicherheit nach IEC 61508 bzw. IEC 62061 oder ISO 13849. Im Unterschied zur ISO 14971 legen diese funktionalen Sicherheitsnormen für bestimmte Sicherheitsfunktionen sogenannte Sicherheitsziele standardisiert fest. Hersteller können dann Industriekomponenten, wie Sicherheitsschalter, Not-Aus Bedienelemente oder Lichtschranken verwenden, die bereits für ein bestimmtes Sicherheitsziel zertifiziert sind.
Insbesondere Hersteller von IVD-Systemen oder -Anlagen, die auch als Maschine qualifiziert sind, können die Methoden der Funktionalen Sicherheit nutzen, um bereits zertifizierte Sicherheitskomponenten zu beschaffen. Ein Artikel zur Funktionalen Sicherheit finden Sie hier. Hersteller von kleinen Geräten ohne Maschinencharakter empfehlen wir die Anwendung der ISO 14971.
Das Johner Institut empfiehlt In jedem Fall die Erstellung eines Sicherheitskonzeptes, in dem die Sicherheitsfunktionen und deren Auslegungen und Berechnungen beschrieben sind.
3. EMV für IVD Geräte
a. Einführung
Die IEC 61010-2-101 enthält keine direkten Vorgaben an die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) von Labor- bzw. IVD-Geräten, verweist aber auf die Anwendung der Norm IEC 61326-2-6.
Die Normenreihe IEC 61326 legt EMV-Anforderungen für elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte fest und differenziert je nach Einsatzbereich. Die IEC 61326-1 bildet die Basisnorm mit allgemeinen Anforderungen, während spezielle Teile wie -2-1 bis -2-6 zusätzliche Vorgaben für bestimmte Gerätegruppen machen – etwa für tragbare Geräte, Präzisionsmessgeräte oder medizinische Prüfgeräte.
Die IEC 61326-2-6 richtet sich gezielt an Geräte für die In-vitro-Diagnostik und stellt sicher, dass diese im medizinischen Umfeld störungsfrei und zuverlässig arbeiten.
b. Anforderungen der IEC 61326-1
Der Titel der Norm IEC 61326-1 lautet “Electrical equipment for measurement, control and laboratory use – EMC requirements – Part 1: General requirements”..
Die Norm enthält 9 Abschnitte mit den folgenden Inhalten
Abschnitt | Wichtigste Aspekte |
1 – Scope | Festlegung des Geltungsbereichs auf elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte, IVD Geräte eingeschlossen |
2 – Normative References | Referenzen auf messtechnische Normen |
3 – Terms, definitions and abbreviations | Geltende Definitionen aus der IEC Electropedia: http://www.electropedia.org/ |
4 – General | Hinweis, dass Geräte und Systeme sowohl gegenüber elektromagnetischen Störungen widerstandsfähig sind als auch selbst keine störenden Emissionen verursachen, die die Funktion anderer Geräte beeinträchtigen könnten. |
5 – EMC test plan | Ein EMV-Prüfplan muss vor Beginn der Prüfungen erstellt werden. Der EMV-Prüfplan enthält Aspekte wie: Testaufbau, Konfigurationen, Betriebsarten, Akzeptanzkriterien etc. |
6 – Immunity requirements | Durchzuführende Prüfungen und Prüfschärfegrade in Abhängigkeit von der elektromagnetischen Umgebung |
7 – Emission requirements | Die Klassifizierung der Geräte und die zulässigen Grenzwerte für die Störausstrahlung in der vorgesehenen Umgebung. |
8 – Test results and test report | Anforderungen an die Dokumentation der Prüfergebnisse in einem Prüfbericht. |
9 – Instructions for use | Die IFU muss die elektromagnetische Umgebung angeben, für die das Gerät bestimmt ist, sowie die Norm(en), die angewendet wurde(n). |
Annex A | Anforderungen an die Störfestigkeitsprüfung für portable Prüf- und Messgeräte, die mit einer Batterie oder über den zu messenden Stromkreis betrieben werden |
Anhang B | Leitfaden für die Analyse und Bewertung der elektromagnetischen Verträglichkeit |
Anhang ZA | Normative Verweise auf internationale Veröffentlichungen mit ihren entsprechenden europäischen Veröffentlichungen |
c. Anforderungen der IEC 61326-2-6
Zusätzlich zum Anwendungsbereich der IEC 61326-1 legt der Teil-2-6 Mindestanforderungen an die Störfestigkeit und die Störaussendung hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit für IVD Geräte fest, und berücksichtigt die Besonderheiten und spezifischen Aspekte dieser elektrischen Geräte und ihrer elektromagnetischen Umgebung.
Als elektromagnetische Umgebung werden die beiden Bereiche unterschieden:
- professional healthcare facility environment: ein Umfeld, in dem professionelle Gesundheitsfürsorge geleistet wird
- home healthcare environment: Umgebung mit einer vielfältigeren elektromagnetischen Umgebung, die weniger gut charakterisierbar sind
Die Norm führt weiterhin zwei neue Definitionen ein – «Basissicherheit» und «Wesentliche Leistungsmerkmale» – die in der IEC 61010 Reihe nicht enthalten sind.
freedom from unacceptable risk to the operator directly caused by physical hazards when IVD MEDICAL EQUIPMENT is used under normal condition and single fault condition
performance of a clinical function, other than that related to BASIC SAFETY, where loss or degradation beyond the limits specified in the user documentation results in an unacceptable risk
Die wesentlichen Leistungsmerkmale beziehen sich auf die analytische Leistung eines Geräts – ihre Verschlechterung kann zu einem nicht vertretbaren Risiko führen.
Während die IEC 61010-1-Reihe den Schwerpunkt auf die Basissicherheit legt, berücksichtigt die IEC 61326-2-6 somit zusätzlich, wie sich elektromagnetische Störungen auf die analytische Leistung auswirken.
Ziel der IEC 61326-2-6 ist es nachzuweisen, dass die Basissicherheit (Bsp. Ausfall einer Lichtschranke) oder die wesentlichen Leistungsmerkmale (Bsp. Fehlerhafte Messung einer Konzentration) durch elektromagnetische Störungen nicht negativ beeinflusst werden.
Weitere Anforderungen sind:
- Anwendung der ISO 14971 für die Herleitung von Akzeptanzkriterien für die Vertretbarkeit von Risiken
- Vorgabe von Prüfschärfegraden bei der Prüfung der Störempfindlichkeit für die beiden elektromagnetischen Umgebungen
- Zusätzliche Vorgaben für Warnhinweise in der Gebrauchsanweisung
d. Vergleich mit der IEC 60601-1-2
Die IEC 60601-1-2 legt Anforderungen an die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) von Medizinprodukten fest, die direkt am Patienten eingesetzt werden.
Die Normen IEC 60601-1-2 und IEC 61326-2-6 sind inhaltlich und prüftechnisch vergleichbar: Beide fordern ein Risikomanagement, die Erstellung eines EMV-Testplans sowie die Einhaltung von Grenzwerten für Störausstrahlung und Störfestigkeitsprüfungen.
Während die Grenzwerte für Störausstrahlung in beiden Normen abhängig von der Einsatzumgebung gleich sind, unterscheiden sich die Anforderungen an die Störfestigkeit. Die IEC 61326-2-6 bewertet das Risiko für den Patienten insgesamt als geringer, da Fehler in der analytischen Leistung meist nur mittelbar wirken – im Gegensatz zu einem direkten Risiko wie etwa beim Ausfall eines Beatmungsgeräts.
Dennoch kann es für bestimmte IVD Produkte für Laienanwendung oder IVD Produkte in unmittelbarer Patientenumgebung sinnvoll sein, die höheren Anforderungen der IEC 60601-1-2 anzuwenden.
Die beiden Normen definieren unterschiedliche Prüfschärfegrade für die Einsatzumgebungen Professional Healthcare Environment (PHE) und Home Healthcare Environment (HHE). Für IVD-Produkte gelten in der strengeren häuslichen Umgebung (HHE) Prüfschärfegrade, die – mit kleineren Abweichungen – denen von ME-Geräten in der weniger strengen professionellen Umgebung (PHE) entsprechen.
Die folgende Tabelle veranschaulicht dies anhand eines Beispiels.
Test Standard | Störfestigkeitsprüfung | ||
IEC 61326-2-6 PHE | IEC 61326-2-6 HHE | IEC 60601-1-2 PHE | |
ESD IEC 61000-4-2 | ± 4 kV contact ± 2 kV, ± 4 kV, ± 8 kV air | ± 8 kV contact ± 2 kV, ± 4 kV, ± 8 kV, ± 15 kV air | ± 8 kV contact ± 2 kV, ± 4 kV, ± 8 kV, ± 15 kV air |
Electromagnetic field IEC 61000-4-3 | 3 V/m (80 MHz to 6 GHz) | 10 V/m (80 MHz to 1 GHz) 3 V/m (1 GHz to 6 GHz) | 3 V/m 80 MHz – 2,7 GHz (80 % AM at 1 kHz) |
e. EMV Guidance FDA mit weiteren Anforderungen
Die IEC 61326-1 und IEC 61326-2-6 sind nur teilweise anerkannte Konsensnormen, während die EN 61326-2-6 in der EU harmonisiert ist. Die FDA erkennt jedoch weder die Kennzeichnungsvorgaben noch die Anforderungen an die Immunitätsprüfung aus diesen Normen an.
Stattdessen fordert die FDA, dass Hersteller Akzeptanzkriterien festlegen, die sich gezielt auf die Funktionen und den Verwendungszweck des jeweiligen IVD-Geräts beziehen. Dafür sollen die wesentlichen Leistungsmerkmale klar definiert und die Immunitätsprüfungen entsprechend daran ausgerichtet werden. Ein Verfahren zur Herleitung dieser Merkmale ist in IEC 60601-1 beschrieben. Warum IEC 61326-2-6 zwar das Konzept der wesentlichen Leistungsmerkmale einführt, jedoch kein Verfahren zu deren Herleitung bietet, ist unklar.
Zudem empfiehlt die FDA, die Prüfschärfegrade der IEC 60601-1-2 zu verwenden – oder alternativ eine Bewertung der vernünftigerweise vorhersehbaren elektromagnetischen Phänomene in der vorgesehenen Einsatzumgebung, z. B. durch Literaturstudien oder eigene Messungen.
Für die Anwendung der EMV-Prinzipien sollten Hersteller den FDA EMC Guidance von Juni 2022 lesen.
4. Konformitätsbewertung
a. Prüfungen, die durchgeführt werden müssen
Die Prüfung von IVD Geräten zum Nachweis Basissicherheit, erfolgt nach den Vorgaben der IEC 61010-1 und der IEC 61010-2-101 und weiteren anwendbaren Teil-2 Normen. Die Normen enthalten neben den Anforderungen auch die Beschreibung der durchzuführenden Prüfungen.
Bei den Prüfungen sollten auch «Erste Fehler» in Schutzmassnahmen, wie der Unterbruch eines Schutzleiters oder das Blockieren eines Lüfters geprüft werden. Die Prüfung sollte weiterhin unter den normalen und ungünstigsten Betriebsbedingungen durchgeführt werden. Das betrifft Aspekte wie Kabellängen, Zubehör, Aufstellung, Spannungsversorgung oder Motorlasten. Weiterhin sollten mögliche Anwendungsfehler (leicht vorhersehbares menschliches Fehlverhalten) simuliert werden.
Während die Normen nur die Basissicherheit kennen, müssen Hersteller die Verifikation und Validierung der (analytischen) Leistungsfähigkeit selbst planen, durchführen und aufzeichnen.
Zum Konformitätsnachweis müssen folgende Prüfungen durchgeführt werden
- Sicherheitsprüfung nach IEC 61010-1ff
- EMV Prüfung nach IEC 61326-2-6 und IEC 60601-1-2
- Nachweis der analytischen Leistungsfähigkeit
- Systemtests und Funktionsprüfungen
- Formative und Summative Prüfung der Gebrauchstauglichkeit
- Verifikation der Kennzeichnung und der Gebrauchsanleitung
b. Rolle der externen Labore
Die Konformitätsprüfungen sollten in externen unabhängigen Prüflaboren durchgeführt werden. Externe Prüflabore erstellen international anerkannte Prüfberichte und Hersteller profitieren auch von der Erfahrung der Prüfer. Benannte Stellen erkennen selbst erstellte Prüfberichte (wenn auch theoretisch möglich) kaum noch an.
Softwaretests sind kein Bestandteil der Produktprüfung im Prüflabor. Bestimmte Teile der Gerätesoftware werden indirekt bei der EMV Prüfung verifiziert, sofern diese einen Einfluss auf die Basissicherheit oder die wesentlichen Leistungsmerkmale haben.
c. Endtest in der Produktion
Die Normen enthalten keine Vorgaben für Endtests in der Produktion oder Zwischentests in der Herstellung. Die Notwendigkeit solcher Tests müssen Hersteller über die Produktionsrisikoanalyse ermitteln.
Als Endtests empfehlen wir folgende Prüfungen durchzuführen:
- Messen des Erdableitstrom bei Schutzklasse I
- Messen des Schutzleiterwiderstands bei Schutzklasse I
- Messen des Berührungsstroms
- Bei Anlagen mit viel manueller Verdrahtung, Isolationsprüfungen
- Druck- und Dichtigkeitsprüfungen bei Flüssigkeiten und Gasen
- Sichtkontrolle der Schutzmassnahmen
- Funktionskontrolle von Schutzeinrichtungen wie Interlocks
- Funktionsprüfungen
- Vollständigkeit der Kennzeichnung und Warnhinweise
5. Fazit und Zusammenfassung
Die Normenreihe IEC 61010-1 und insbesondere die IEC 61010-2-101 bilden die sicherheitstechnische Grundlage für elektrische Geräte in der In-vitro-Diagnostik (IVD).
Während IEC 61010-1 die allgemeinen Anforderungen für die Basissicherheit abdeckt, konkretisiert IEC 61010-2-101 diese für den IVD-Bereich – insbesondere im Hinblick auf den Patientenschutz, biologische Gefährdungen und die typische Nutzung in Laborumgebungen.
Für Hersteller ist es entscheidend, beide Normen im Zusammenspiel zu verstehen und umzusetzen, um sowohl regulatorische Anforderungen zu erfüllen als auch die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Geräte im medizinischen Alltag sicherzustellen.
Zudem sollten die Hersteller die Anforderungen an die EMV und damit die Normen der Familie IEC 61326 beachten.
Die IVD- und IEC 61010-Experts des Johner Institut stellen sicher, dass Hersteller ihre IVDs gesetzeskonform, sicher und mit minimalem Aufwand in den Markt bringen. Beispielsweise unterstützen sie beim:
- Prüfen, welche Normen anwendbar sind
- Ermitteln der relevanten Anforderungen aus den Normen
- Herleiten der wesentlichen Leistungsmerkmale
- Erstellen eines EMV Prüfplans
- Review und Erstellen von Sicherheitskonzepten
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Änderungshistorie
- 2025-05-20: Artikel vollständig neu geschrieben
- 2017-01-12: Erste Version des Artikels publiziert
S.g. Prof. Johner,
besten Dank für Ihre Klarstellung! Ich hatte jüngst eine Diskussion über diese Unterschiede – und Ihr Kommentar zeigt, dass (salopp gesagt:) „nicht alles, was ein elektrisches Gerät ist, automatisch unter IEC 60601-1 fällt“.
Denken wir bspw. an einen Kühlschrank zur Aufbewahrung von menschl. Gewebsproben zur späteren IVD-Analyse: dieser ist mE ein elektrisches Gerät unter MDD, aber nicht unter IVDD (da ja nach Zweckbestimmung der Kühlschrank nur zur Lagerung von Probenbehältnissen dient und keinerlei Informationen für In-vitro-Untersuchungen liefert).
Wegen des fehlenden Anwendungsteils und direkten Patientenkontakts ist, wie ich Sie verstanden habe, die IEC 60601-1 nicht zwingend anzuwenden; wohl wäre daher die IEC 61010-1 für den Kühlschrank als elektr. Laborgerät zweckmäßiger anzuwenden.
MfG T. Friedl
Genau so sehe ich es auch.
Sehr geehrter Prof. Johner,
aufgrund des Datums der Veröffentlichung dieses interessanten Artikels vermute ich, dass Sie sich auf die neue 61010-2-101 vom Oktober 2017 beziehen?!
Dazu habe ich eine Frage bezüglich des Anwendungsbereichs dieser neuen Norm:
– bei den Änderungen gegenüber der Vorgänger-Norm (2003-09) steht zu lesen:
„a) Allgemeine Laborgeräte nach IEC 61010-2-081 „Besondere Anforderungen an automatische und semiautomatische Laborgeräte für Analysen und andere Zwecke“ wurden vom Anwendungsbereich ausgenommen. Damit sind Geräte nach IEC 61010-2-081 und Geräte nach IEC 61010-2-101 voneinander abgegrenzt.“
– an der entsprechenden Stelle im Normtext selbst (1.1.2) wird diese Aussage aber wieder relativiert:
„1.1.2 Vom Anwendungsbereich ausgenommene Geräte
Ergänzung:
Ergänze den folgenden Punkt:
aa) Erzeugnisse im Anwendungsbereich der IEC 61010-2-081, es sei denn, sie sind speziell vom Hersteller für ln-vitro-Untersuchungen vorgesehen.“
Dieser letzte Halbsatz verwirrt mich:
für alle Geräte, die unter die 61010-2-081 fallen UND ein IVD Produkt sind, gilt die 6101-2-101 offenbar doch, und die Ausnahme gilt nur für nicht IVD-Produkte.
Allerdings gilt die 61010-2-101 doch ohnehin nur für IVD-Produkte, wie schon der Titel dieser Norm aussagt: „Teil 2-101: Besondere Anforderungen an ln-vitro-Diagnostik (IVD)Medizingeräte“.
Damit sind doch alle nicht IVD-Produkte ohnehin vom Anwendungsbereich der 61010-2-101 ausgeschlossen und die nun in der neuen Version hinzugefügte Ausnahme ohne jeden Sinn, denn sie waren und sind von jeher ausgeschlossen gewesen?!
Zudem stimmt die getroffene Aussage, dass „Geräte nach IEC 61010-2-081 und Geräte nach IEC 61010-2-101 voneinander abgegrenzt“ sind so auch nicht mehr, denn für IVD-Produkte die unter die -2-081 fallen gilt ja zusätzlich auch die -2-101 (in der -2-081 gibt es keine Ausnahme vom Anwendungsbereich für IVD-Produkte).
Wie verstehen sie den neu (oder doch nicht neu?) definierten Anwendungsbereich der -2-101 in Bezug auf IVD-Produkte? Vielleicht können Sie mich ja etwas „entwirren“?
Vielen Dank und viele Grüße,
Martin Schroeder
Sehr geehrter Prof. Johner,
darf ich davon ausgehen, dass beim Erfüllen der EN 60601-1 automatisch auch die 61010-1 erfüllt ist oder muss eine solche Behauptung durch einen weiteren Test abgeprüft werden?
Danke
Stefan Klein
Lieber Herr Klein,
ich würde das genau so sehen. ich müsste nochmals durch alles durch. Aber generell ist die IEC 61010 eher eine Untermenge der IEC 60601-1, deren spezifischen Anforderungen auch strenger sind als die der Labornorm.
Wenn ich eine genaue Delta-Analyse machen soll, geben Sie einfach Bescheid.
Beste Grüße, Christian Johner