Mit der IVDR hat die EU Ende Februar 2017 eine umfangreiche Verordnung veröffentlicht, die die bisherige IVD-Richtlinie (98/79/EC) abgelöst hat.
Die Anzahl der Artikel wurde von 24 auf 113 fast verfünffacht. Erfahren Sie hier, welche Anforderungen die IVDR ergänzt hat, welche Anforderungen gleichgeblieben sind und wie Sie sich auf die neue Verordnung vorbereiten können.
Seit dem 25. Mai 2017 sind die EU-Verordnungen, die MDR und die IVDR in Kraft. Die IVDR ist seit dem 26. Mai 2022 gültig.
Updates
1. IVDR im Überblick
a) Gültigkeit und Anwendbarkeit
Die IVDR fühlt sich für den ganzen In-vitro-Diagnostik-Markt in der EU zuständig: Von der Entwicklung über die Marktüberwachung bis zur Anwendung. Sie wendet sich damit ebenso an Hersteller, Importeure, Anwender wie an benannte Stellen und nationale Behörden.
Insbesondere regelt die IVDR die Voraussetzungen („grundlegenden Anforderungen“), die In-vitro-Diagnostika erfüllen müssen.
b) Kapitelstruktur der IVDR
Die Verordnung ist in 10 Kapitel und 14 Anhänge aufgeteilt.
Abb. 1: Kapitelstruktur der IVDR im Überblick. Zum Vergrößern klicken. Hier Mindmap als Download (PDF)
113 Artikel (die IVDD enthielt 24), 477 Seiten (die IVDD hatte 46) machen klar, dass die Autoren nicht nur redaktionelle Änderungen vorgenommen haben.
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2. Was die IVDR nicht geändert hat
Die IVDR kennt weiterhin „grundlegende Anforderungen“, die jetzt aber „allgemeine Sicherheits- und Leistungsanforderungen“ heißen. Die Hersteller müssen wie unter der IVDD im Rahmen von Konformitätsbewertungsverfahren nachweisen, dass diese Anforderungen erfüllt sind.
Es gibt auch weiterhin Klassen, in welche die Produkte eingeteilt werden. Abhängig davon dürfen die Hersteller die Konformitätsbewertungsverfahren auswählen.
Die IVDR hat auch nichts daran geändert, dass benannte Stellen bei der Konformitätsbewertung von kritischen Produkten beteiligt werden müssen und die Konformität durch ein CE-Zeichen ausgedrückt werden muss. Allerdings betrifft die Beteiligung durch benannte Stellen nun unter den neuen Klassifizierungsregeln des Anhang VIII die große Mehrheit aller IVD-Produkte, während dies unter IVDD nur für Liste-A-, Liste-B-Produkte und Selbsttests zutrifft – was nach gängigen Schätzungen nur einen geringen Teil der am Markt befindlichen IVD-Produkte ausmacht.
3. Wichtige Änderungen durch die IVDR
Die IVDR hat viele Konzepte wie die Konformitätsbewertungsverfahren, das Einbeziehen benannter Stellen und die grundlegenden Anforderungen zwar beibehalten. Sie nimmt aber zum Teil signifikante Änderungen vor.
a) Einteilung der Produkte in vier Klassen statt zwei Listen
Statt der bisherigen Listen A und B definiert die IVDR im Anhang VIII jetzt vier Klassen:
- Klasse D: Höchstkritische Werte wie für die Transfusionsmedizin oder zur Bestimmung lebenskritischer und gleichzeitig hochansteckender Krankheiten
- Klasse C: Kritische Werte wie bei Gentests, beim Bestimmen von Medikamentenspiegeln, ansteckenden Krankheiten oder angeborenen Krankheiten bei Föten oder Embryonen. Auch die meisten Selbsttests (durch Patienten) fallen in diese Klasse
- Klasse B: Weniger kritische Parameter wie Glukose oder Leukozyten. Die Klasse B ist auch die „Default-Klasse“ für Parameter, die unter keine der genannten Regeln fallen.
- Klasse A: In diese Klasse fallen unkritische Produkte wie Waschlösungen oder Nährböden.
Die IVDR unterscheidet sogar noch weitere Typen von In-vitro-Diagnostika:
- Produkte für patientennahe Tests
- Produkte zur Eigenanwendung (durch Patienten/Laien)
- Therapiebegleitende Diagnostika, die für die sichere und wirksame Verwendung eines dazugehörigen Arzneimittels wesentlich sind. Ein Beispiel wäre ein Gentest, der prüft, ob bzw. wie ein Zytostatikum bei einem Patienten wirkt.
Die Menge der möglichen Konformitätsbewertungsverfahren hat sich reduziert. Im Wesentlichen unterscheidet die IVDR nur noch drei:
- Für Klasse A Produkte ohne Anforderungen an die Sterilität genügt die Technische Dokumentation für das Produkt (Anhang II) und für die Marktüberwachung (Post-Market Surveillance) (Anhang III).
- Alle anderen Produkte können im Rahmen eines vollständigen Qualitätssicherungssystems in den Verkehr gebracht werden (Anhang IX). Die IVDR differenziert beim Review der technischen Dokumentation, ob diese pro Produktkategorie (Klasse B), pro Produktgruppe (Klasse C) oder pro Produkt (Klasse D) erfolgen muss.
- Alternativ dürfen die Hersteller ein Konformitätsbewertungsverfahren wählen, das eine Baumusterprüfung (Anhang X) und eine Qualitätssicherung für die Produktion (Anhang XI) enthält.
Für Produkte, die patientennahe Tests oder zur Eigenanwendung gedacht sind, kennt die IVDR ebenso spezielle Forderungen wie für die therapiebegleitenden Diagnostika.
Klasse-D-Produkte müssen ggf. Referenzlaboratorien und Expert-Panel mit einbeziehen.
Abb. 2: Konformitätsbewertungsverfahren gemäß IVDR
c) Common Standards
Hersteller dürfen auch weiterhin harmonisierte Normen nutzen. Jetzt behält sich die EU-Kommission aber vor, zusätzlich sogenannte „gemeinsame Spezifikationen“ („common specifications“) festzulegen, die die Hersteller einhalten müssen.
Hier nimmt sich die Kommission beachtliche Rechte heraus. Sie kann damit quasi nach Belieben Anforderungen ohne parlamentarische Beteiligung definieren.
d) UDI-System
Wie auch bei den anderen Medizinprodukten sind die Hersteller nur dazu verpflichtet, die Produkte eindeutig über eine UDI zu kennzeichnen und Informationen in der Eudamed zu hinterlegen.
Weiterführende Informationen
Lesen Sie hier weitere Artikel zur UDI und zur Eudamed.
e) QM-System
Jeder(!) Hersteller eines IVD muss über ein Qualitätsmanagementsystem verfügen. Das gilt unabhängig vom Konformitätsbewertungsverfahren. Allerdings verlangt die IVDR nur bei den Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Anhang IX und XI eine Zertifizierung durch eine benannte Stelle.
Die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem sind aber umfassend. Es muss behandeln:
Wenn Sie diese Verfahren alle beschrieben und implementiert haben, können Sie sich auch gleich nach ISO 13485:2016 zertifizieren lassen.
Die IVDR fordert, dass die benannten Stellen mindestens alle fünf Jahr ein unangekündigtes Audit durchführen. Das betrifft alle Hersteller mit einem zertifizierten QM-System.
f) Technische Dokumentation
Die Hersteller sind verpflichtet, sehr genau zu beschreiben, was das Produkt leisten soll und wie sie sicherstellen, dass diese Leistungen tatsächlich erbracht werden und dass keine inakzeptablen Risiken bestehen. Bei den Leistungsdaten geht es beispielsweise um „analytische Sensitivität, analytische Spezifität, Richtigkeit (Verzerrung), Präzision (Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit), Genauigkeit (als Ergebnis von Richtigkeit und Präzision), Nachweis- und Quantifizierungsgrenzen, Messbereich, Linearität, Cutoff“ usw.
Entsprechend umfangreich sind auch die Anforderungen an die Leistungsbewertung geworden.
g) Software
Die IVDD nahm sich des Themas Software noch sehr stiefmütterlich an. Sie formulierte beispielsweise keine konkreten Anforderungen an den Software-Lebenszyklus. Das ändert die IVDR:
- Die Software muss gemäß Software-Lebenszyklusprozessen einschließlich Verifizierung und Validierung entwickelt werden.
- Anforderungen an die Interoperabilität müssen Hersteller genau spezifizieren und deren Erfüllung prüfen. Apropos: Die neue ISO 13485:2016 fordert dies seit der neusten Version ebenfalls.
- Das Risikomanagement muss Risiken auch aufgrund von Problemen mit der Interoperabilität betrachten.
- Die Laufzeitumgebung wie das Betriebssystem und die Hardware müssen Hersteller ebenso festlegen.
- Selbst auf mobile Plattformen geht die Verordnung ein, bei denen auch Bildschirmgrößen und die Benutzungsumgebung festzulegen sind.
- Zu den grundlegenden Anforderungen zählt auch die IT-Sicherheit und der Schutz gegen unautorisierten Zugriff.
- Die Hersteller müssen eine Dokumentation bereitstellen, die Komponenten, Algorithmen und Technologien erkennen lässt.
- Die Software selbst unterliegt der Unique Device Identification UDI.
- Das Personal muss auch in Sachen Software kompetent sein.
Insgesamt sind das keine überraschenden Forderungen. Vielmehr reflektieren Sie das, was eine IEC 62304 und tw. eine ISO 13485 noch konkreter vorgeben.
h) Personal
Ebenso wie in der ISO 13485:2016 legt auch bei der IVDR verstärkt Gewicht auf die ausreichende Qualifizierung von Personal. Der „Compliance Officer“ ist eine neue explizit geforderte Rolle.
Passend dazu: Healthcare Compliance Regeln
i) Und noch vieles mehr
Zu den weiteren nennenswerten Neuerungen und Verschärfungen durch die IVDR zählen:
- Post-Market Surveillance: Die Hersteller müssen die Marktbeobachtung präzise planen und durchführen. Die IVDR beschreibt die Anforderungen detailliert u.a. in den Artikel 78ff. sowie im Anhang III.
- Klinische Studien: Sehr vergleichbar der MDR sind die Anforderungen an die Durchführung klinischer Studien / Prüfungen geradezu explodiert. Davon zeugen die Artikel 57ff sowie der Anhang XIV.
- Labeling: Seitenweise beschreibt die IVDR im Absatz 20 des ersten Anhangs, was die Hersteller bezüglich Gebrauchsanweisungen, Warnungen und sonstigen Hinweisen beachten müssen.
- Risikomanagement: Stammten bisher die Anforderungen an das Risikomanagement eher aus der ISO 14971, definiert nun die IVDR selbst, was diesbezüglich getan werden muss.
4. Vorbereitung auf die IVDR
Den Herstellern sei empfohlen, sich rasch an die Hausaufgaben zu machen:
- Bringen Sie ihr QM-System auf den aktuellsten Stand (ISO 13485:2016)
- Bilden Sie eine Arbeitsgruppe aus Entwicklung, Logistik und Produktion, um Ihre UDI-Strategie zu definieren.
- Finden Sie heraus, in welche Klasse Ihre Produkte fallen.
- Erstellen Sie eine Gap-Analyse für die technische Dokumentation und das Post-Market-System
- Schließen Sie die Gaps.
- Stimmen Sie mit Ihrer benannten Stelle den Zeitplan ab.
5. Berechner
- Datum, bis zu dem Sie neue oder geänderte Produkte erstmalig inverkehrbringen dürfen
- Zeitpunkt, bis zu dem Sie Produkte abverkaufen („bereitstellen) dürfen
- Datum, bis zu dem Ihre Kunden die Produkte in Betrieb nehmen dürfen
6. Vorschlag der Kommission für Übergangsfristen
Die Übergangsfristen der IVDR haben wir Ihnen in diesem Beitrag zusammengestellt.
7. Fazit
Die IVDR hat die Latte deutlich nach oben gelegt. Die Verordnung formuliert als eigenes Ziel, auch kleinen und innovativen Firmen den Marktzugang mit endlichem Aufwand zu ermöglichen. Dieses Ziel dürfte die Verordnung klar verfehlt haben. Dafür ist das Regelwerk zu umfangreich geworden. Folglich benötigen IVD-Hersteller fast zwangsläufig den geforderten „Compliance Officer“.
Ob die IVDR zu mehr Sicherheit für Patienten, Anwender und Dritte führt, ist stark zu bezweifeln. Dass die IVDR zu mehr Bürokratie und weniger Innovation führt, dürfte als sicher gelten.
Aktuelles
- 2019-03-13: Corrigendum / Berichtigungen. Am 13.03.2019 hat Brüssel ein Corrigendum veröffentlicht, das Sie hier herunterladen können: ST_15418_2018_REV_1_EN
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