Unter
Post-Market Surveillance (
Überwachung nach der Inverkehrbringung) versteht man einen proaktiven und systematischen Prozess, um aus Informationen über Medizinprodukte, die bereits in Verkehr gebracht wurden, notwendige
Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen (CAPA, corrective and preventive action) abzuleiten.
Die ISO 13485:2016 und die ISO 14971:2012 verlangen eine Post-Market Surveillance und die FDA hat im Mai 2016 ein überarbeitetes Guidance-Document dazu veröffentlicht.
Ergänzung IVD-spezifischer Anforderungen an die Post-Market Surveillance und das Post-Market Performance Follow-up (PMPF). Beachten Sie auch den geänderten Beitrag zur MEDDEV 2.12/1.
Interview mit Dr. Andrea Seeck
Dr. Andrea Seeck berichtet über typische Herausforderungen, die Medizinproduktehersteller bei der Post-Market Surveillance (PMS) bewältigen müssen. Sie gibt Tipps, wie man eine gesetzeskonforme PMS auch ohne hohe Aufwände schafft.
Definition von Post-Market Surveillance
Sowohl die Medizinprodukteverordnung (MDR) und die Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) als auch die FDA definieren den Begriff „Post-Market Surveillance“:
Definition: Post-Market Surveillance
„all activities carried out by the manufacturers in cooperation with other economic operators to institute and keep up to date a systematic procedure to proactively collect and review experience gained from their devices placed on the market, made available or put into service for the purpose of identifying any need to immediately apply any necessary corrective or preventive actions“
Die Definition der FDA ist vergleichbar:
Definition: Postmarket Surveillance
„The active, systematic, scientifically valid collection, analysis, and interpretation of data or other information about a marketed device.“
Die Definition FDA ist zwar angenehm kurz, doch die umständlicher zu lesende Darlegung der MDR erscheint hilfreicher. Denn sie beschreibt nicht nur die Tätigkeiten, sondern auch die Ziele der Post-Market-Aktivitäten.
Post-Market Surveillance: Ziele
Hersteller müssen die Risiken durch ihre Medizinprodukte minimieren und die Sicherheit der Patienten gewährleisten, bevor sie ihre Produkte in den Markt bringen. Behörden und Benannte Stellen überprüfen dies im Rahmen der Zulassung bzw. Konformitätsbewertung.
Allerdings offenbaren sich einige Risiken erst später im Laufe der Zeit, wenn die Anwender die Produkte täglich einsetzen.
Die Post-Market Surveillance hat zum Ziel,
- diese Risiken beim praktischen Gebrauch des Produkts systematisch zu identifizieren,
- die Leistungsfähigkeit der Produkte „im Feld“ zu überprüfen,
- Produktfehler und unentdeckt gebliebene Sicherheitsprobleme zu finden,
- die Nutzen-Risiko-Bewertung kontinuierlich zu aktualisieren und
- notwendige Maßnahmen wie Rückrufe schnell einzuleiten.
Nur durch eine kontinuierliche und systematische Überwachung nach der Inverkehrbringung (Post-Market Surveillance) können die Hersteller gewährleisten, dass die Medizinprodukte den Patienten den versprochenen Nutzen bieten und dass keine unbeherrschten Risiken existieren.
Welche Daten Sie bei der Post-Market Surveillance berücksichtigen können, lesen Sie weiter unten.
Die Post-Market Surveillance ist ein kontinuierlicher Prozess: Informationen sammeln und bewerten, über Maßnahmen entscheiden und notwendige Maßnahmen umsetzen. Bei der IVDR spricht man nicht von klinischen Bewertungen, sondern von Leistungsbewertungen (Zum Vergrößern bitte klicken)Abgrenzungen
Post-Market Clinical Follow-up (PMCF)
Die Post-Market Surveillance verfolgt das Ziel, durch Beobachtung und Analyse des alltäglichen praktischen Gebrauchs den Nutzen von Medizinprodukten kontinuierlich zu belegen und bisher unbekannte Risiken zu identifizieren. Falls die „normale Marktbeobachtung“ dafür keine ausreichenden Daten liefert, können PMCF-Aktivitäten des Herstellers notwendig werden, die auch Studien umfassen können.
Eng verknüpft mit der Überwachung nach der Inverkehrbringung (Post-Market Surveillance) sind die Begriffe „Post-Market Clincial Follow-up“ (PMCF) bzw. – im Fall von IVD – „Post-Market Performance Follow-up“ (PMPF) und Vigilanz.
Falls aus der PMS Informationen bekannt werden, aufgrund derer sich die klinische Bewertung bzw. Leistungsbewertung ändern würde, so ist diese zu aktualisieren. PMCF-/PMPF-Studien sollen klinische Daten sammeln mit dem unmittelbaren Ziel, die klinische Bewertung bzw. Leistungsbewertung zu aktualisieren und zu verbessern.
Definition: Post-market clinical follow-up (PMCF)
„Continuous process that updates the clinical evaluation referred to in Article 61 and Part A of this Annex“
Definition: Post-market performance follow-up (PMPF)
„Continuous process by which data are assessed and analysed to demonstrate the scientific validity, analytical performance and clinical performance of that device for its intended purpose as stated by the manufacturer“Quelle: IVDR
Beim Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) bzw. Post-Market Performance Follow-up (PMPF) geht es also um das systematische Sammeln klinischer Daten. Beim Post-Market Performance Follow-up (PMPF) werden proaktiv sowohl Daten zur Sicherheit und Leistung als auch wissenschaftliche Daten gesammelt.
Sowohl PMCF als auch PMPF im Fall von IVD haben zum Ziel, offen gebliebene wichtige Fragen zur Sicherheit oder Leistung des Medizinprodukts zu beantworten. Die Post-Market Surveillance beinhaltet das Sammeln aller Arten von bedeutsamen Information aus der Praxis, beispielsweise in Form von Serviceberichten, Anrufen bei der Hotline, Kundenbeschwerden usw.
Der PMCF hat zum Ziel, die klinische Bewertung zu aktualisieren; der PMPF soll die Leistungsbewertung von IVD erneuern. Die Post-Market Surveillance hat zum Ziel, über notwendige Maßnahmen zu entscheiden, um die Sicherheit der Patienten und Anwender zu gewährleisten. Bei dieser Entscheidung fließen die Ergebnisse der klinischen Bewertung bzw. Leistungsbewertung mit ein. Der PMCF bzw. PMPF ist somit eine Untermenge der Post-Market Surveillance.
Die Post-Market Surveillance ist eine Übermenge des Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) bzw. des Post-Market Performance Follow-Up (PMPF) (Zum Vergrößern klicken)Die MDR und die IVDR betrachten den Post-Market Clinical Follow-up bzw. Post-Market Performance Follow-Up als Teil der Post-Market Surveillance. Sie schreiben z.B.
The manufacturer shall undertake to institute and keep up to date a post-market surveillance plan, including a PMCF respectively a PMPF plan.
Allerdings unterscheidet die FDA die beiden Aspekte nicht so präzise: Sie verlangt, dass der PMS-Plan Angaben enthält, die man bei klinischen Studien festlegt, wie die Anzahl der Probanden, das Studienziel und Einverständniserklärungen.
Vigilanz
Unter einem Vigilanzsystem versteht man ein reaktives Meldesystem: Hersteller müssen im Rahmen der Vigilanz regeln, wie sie Vorkommnisse an die zuständigen Behörden melden. Gesetze und Verordnungen wie die MPSV lassen den Herstellern beim Festlegen des Meldesystems wenig Spielraum.
Weiterführende Informationen
- Lesen Sie hier mehr zum Thema Vigilanz. Der Artikel geht auch auf die Abgrenzung zur Post-Market Surveillance ein.
Marktüberwachung
Nicht zu verwechseln mit der „Überwachung nach der Inverkehrbringung“ ist die „Marktüberwachung“. Letztere ist die Aufgabe der Behörden.
Fazit
Die Aktivitäten der Überwachung nach der Inverkehrbringung, des Meldewesens, des Post-Market Clinical Follow-ups bzw. Post-Market Performance Follow-ups und der Vigilanz sind teilweise überlappend. Daher werden die Begriffe häufig synonym verwendet – was sie aber nicht sind.
Die regulatorischen Anforderungen beziehen sich meist auf mehrere Aspekte.
Regulatorische Anforderungen
a) Medizinprodukte-Richtlinie (MDD, 93/42/EWG)
Die Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) fordert explizit (Anhang X, klinische Bewertung): Die Hersteller müssen die klinische Bewertung mit Daten aus der Post-Market Surveillance aktualisieren. Sie müssen begründen, wenn sie bei diesem Prozess kein Post-Market Clinical Follow-up vorsehen.
b) Medizinprodukte-Verordnung (MDR)
Die Medizinprodukte-Verordnung MDR beschreibt die Anforderungen an die Post-Market Surveillance wesentlich ausführlicher und konkreter. Gleich vier Artikel und ein Anhang widmen sie diesem Thema.

Wichtige Forderungen der MDR an die Post-Market Surveillance sind:
- Post-Market-Surveillance-Prozess definieren, planen und aufrechterhalten
- Kontinuierlich und systematisch Daten sammeln und bewerten
- Kontinuierlich auf Basis dieser Daten über Maßnahmen entscheiden wie
- CAPA initiieren (die kann das Produkt genauso betreffen wie den Hersteller und seine Prozesse)
- Behörden oder Anwender informieren
- Rückruf initiieren
- Klinische Bewertung aktualisieren
- Über Ergebnisse berichten (periodic safety update report)
Anhang III regelt, welche Quellen zu analysieren und wie diese zu bewerten sind.
c) Verordnung für IVD (IVDR)
In der IVDR sind ausführliche Anforderungen an das Post-Market Surveillance System in vier Artikeln (Artikel 79-81) sowie in Annex III beschrieben. Diese sind mit den o.g. Forderungen der MDR nahezu identisch, unterscheiden sich aber bezüglich des Post-Market Performance Follow-ups zur Aktualisierung der Leistungsbewertung. Neben der kontinuierlichen Sicherstellung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses steht auch die Gewährleistung des klinischen Nachweises im Mittelpunkt.
Die Hersteller sind aufgefordert, den aktuellen Stand der Technik zu bewerten, die wissenschaftliche Validität zu bestätigen, z.B. durch Screening neuester wissenschaftlicher Literatur, und die Kontinuität der analytischen und klinischen Leistung ihres IVD zu belegen, z.B. durch Teilnahme an Ringversuchen, epidemiologische Studien, Datenbank-Recherchen oder PMPF-Studien.
Teil B des Anhangs XIII beschreibt die Ziele des Post-Market Performance Follow-ups und die Anforderungen an die Planung, Auswertung und Dokumentation.
Unser Videotraining „Auditgarant“ stellt Ihnen die Forderungen der MDR in verständlicher Form vor und gibt Tipps zur konkreten Umsetzung.
d) ISO 13485:2016
Die ISO 13485:2016 verpflichtet die Hersteller, die Wirksamkeit des QM-Systems und die Sicherheit der Medizinprodukte u.a. durch eine systematische Überwachung nach der Inverkehrbringung (Post-Market Surveillance) zu gewährleisten.
e) ISO 14971
Auch die Norm zum Risikomanagement stellt Anforderungen an die „nachgelagerte Phase“. Der Fokus dieser Norm ist allerdings nicht das Meldewesen. Hier geht es vielmehr darum, anhand von Informationen aus der Produktion oder danach (z.B. aus der Nutzung des Produkts) mehr zu lernen darüber, ob
- Wahrscheinlichkeiten und Schweregrade möglicher Schäden richtig geschätzt sind,
- die Risiken vollständig identifiziert sind,
- die vermuteten Risikoakzeptanzkriterien und Nutzen-Risikoverhältnisse gültig sind.
In der nachgelagerten Phase müssen Hersteller, die im Sinn der ISO 14971 handeln, nicht nur nach Problemen suchen. Alle Informationen sind bedeutsam, die helfen, die Korrektheit der eigenen Annahmen zu verifizieren oder zu falsifizieren.
Welche Daten Sie bei der Überwachung nach der Inverkehrbringung berücksichtigen können, lesen Sie weiter unten.
Der Risikomanagementbericht muss bestätigen, dass die geplanten Aktivitäten angemessen sind.
f) MEDDEV 2.12-1 und MEDDEV 2.12-2
Die MEDDEV 2.12-1 beschreibt Anforderungen an das Vigilanzsystem, vor allem, wann die Hersteller welche Zwischenfälle in welcher Form und wie schnell melden müssen. Sie gilt auch für In-Vitro-Diagnostika.
Die MEDDEV 2.12-2 gibt Vorgaben für PMCF-Studien. So beschreibt dieses mit 14 Seiten vergleichsweise kurze Dokument,
- wann eine PMCF indiziert sein könnte,
- was ein PMCF-Plan enthalten sollte und
- welche Rolle die Benannten Stellen spielen.
Genauere Vorgaben zur Durchführung klinischer Prüfungen und Studien (nicht nur PMCF) gibt zudem die ISO 14155. Für In-Vitro-Diagnostika wurde die ISO 20916 veröffentlicht. Sie gibt Vorgaben zur Durchführung und Dokumentation von klinischen Leistungsstudien zur Bewertung der klinischen Leistungsparameter eines IVD.
g) MPG, MPSV
Das MPG und die MPSV fordern zwar eine Marktüberwachung, stellen aber eher präzise Forderungen an das Meldewesen (Vigilanz-System) und an die Rückrufe.
h) USA/FDA: 21 CFR part 822 und Guidance Document „Post-Market Surveillance“
Die FDA regelt im 21 CFR part 822 genau,
- wann eine Post-Market Surveillance notwendig ist,
- was die Hersteller bei der Planung der Überwachung nach der Inverkehrbringung (Post-Market Surveillance) beachten müssen,
- welche Dokumente die Hersteller vorweisen müssen und
- wie schnell die Hersteller im Problemfall reagieren müssen bzw. die FDA handelt.
Die FDA hat am 16. Mai 2016 speziell zum 21 CFR part 822 ein Guidance Document veröffentlicht, das den Herstellern weitere Hilfestellungen geben soll.
i) ISO TR 20416
Der „Technical Report“ ISO TR 20416 beschreibt noch genauer, wie Hersteller die Post-Market Surveillance planen und durchführen können.
Weiterführende Informationen
In diesem Artikel zur ISO 20416 finden Sie eine Übersicht über die Norm und einen Vorschlag zur Kapitelstruktur von PMS-Plänen.
Fazit
Im Gegensatz zum Meldewesen (Vigilanz) waren die europäischen Vorgaben zur eigentlichen „Überwachung nach der Inverkehrbringung“ bisher nicht so handlungsleitend. Dies wird sich nun mit der neuen MDR und IVDR ändern, welche die Post-Market Surveillance wesentlich umfassender, konkreter und ausführlicher beschreiben. Die nachfolgenden detaillierten Tipps helfen Ihnen bei der Umsetzung.
Verfahrensanweisung Post-Market Surveillance
Als Hersteller von Medizinprodukten sollten Sie Ihre Post-Market Surveillance anhand folgender Aspekte regeln – beispielsweise in einer entsprechenden Verfahrensanweisung.
- Auslöser von Aktivitäten
Es gibt generell zwei mögliche Trigger:- Basierend auf Zeitpunkt bzw. Zeitintervallen (z.B. einmal im Vierteljahr, jeden dritten Montag im Monat)
- Anlassbezogen (z.B. Kunde hat angerufen, neue Norm ist erschienen, tausendstes Gerät wurde ausgeliefert)
- Informationsquellen
Beispiele für Informationsquellen sind:- Kundenrückmeldungen einschließlich Kundenreklamationen
- Serviceberichte
- Ergebnisse bei Tests
- Beobachtungen von Mitarbeitern
- Behördendatenbanken mit Meldungen von Herstellern vergleichbarer Produkte, Technologien oder Verfahren über Probleme oder Maßnahmen
- Anrufe bei der Hotline
- Wissenschaftliche, technische und klinische Fachliteratur
- Ergebnisse von PMCF-Studien bzw. PMPF-Studien im Fall von IVD
- Messen und Konferenzen
- Tätigkeiten
Die Tätigkeiten betreffen typischerweise das- Sammeln der Daten,
- Auswerten der Daten,
- Bewerten der Daten,
- Ergreifen von Maßnahmen (z.B. Rückruf, Behördenmeldung, CAPA) oder das Begründen des Unterlassens.
- Verantwortlichkeiten
Die Verfahrensanweisungen sollten auch beschreiben, welche Rollen für welche Tätigkeit zuständig sind. Involviert sind beispielsweise die Medizinprodukteberater, die Sicherheitsbeauftragten, die Risikomanager, die Entwicklung, der Support, die Hotline, der Service und das Management. - Dokumentation und Werkzeuge
Da die Hersteller im Rahmen der Post-Market Surveillance umfangreiche Daten bewerten, empfehlen wir, diese Informationen mithilfe von Werkzeugen zu dokumentieren. Vergessen Sie nicht, diese Werkzeuge zu validieren. Die ISO 13485:2016 fordert das.