Schlagwort: Medical Device Regulation MDR – Medizinprodukteverordnung (2017/745)
Medical Device Regulation MDR – Medizinprodukteverordnung (2017/745) (Stand 2021)
Die neue europäische Medical Device Regulation MDR (Medizinprodukte-Verordnung) und die EU-Verordnung über In-Vitro-Diagnostika IVDR ersetzen die bestehenden Medizinprodukte-Richtlinien.
Klicken Sie diesen Link, um das kostenlose Starter-Kit herunterzuladen, das Ihnen einen Überblick über die regulatorische Landschaft verschafft und Ihnen die 6 Schritte zur „Zulassung“ Ihres Medizinprodukts aufzeigt.
Neu: Das Starter-Kit enthält die MDR-Checkliste im PDF und im DOCX-Format zum Download!
1. Die Medizinprodukte-Verordnungen (MDR, IVDR) lösen die Medizinprodukte-Richtlinien (MDD, AIMD, IVD) ab
Die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten (Medical Device Regulation, MDR, mit der Nummer 2017/745) ersetzt zwei Medizinprodukte-Richtlinien, nämlich die
- Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (Medical Device Directive, MDD)
- Richtlinie 90/385/EWG über aktive implantierbare Medizinprodukte (Active Implantable Medical Devices, AIMD)
Abb. 1: Die MDR (Medical Device Regulation) löst MDD und AIMD ab, die IVDR die IVD.
Die Richtlinie 98/79/EG über In-vitro Diagnostika (IVD) wird nicht in der Medical Device Regulation aufgehen, sondern durch eine eigene neue EU-Verordnung ersetzt (In-Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation, IVDR, Nummer 2017/746).
Weiterführende Informationen
Lesen Sie hier mehr zum Thema In-Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation, IVDR
2. Änderungen durch die neue Medical Device Regulation (im Vergleich zur Medical Device Directive)
Neben der Zusammenfassung der beiden bisher eigenständigen Medizinprodukte-Richtlinien sind derzeit u. a. folgende, wesentliche Änderungen bzw. Neuerungen in dem Entwurf der Medical Device Regulation zu finden:
a) Anforderungen an die Produkte
- Die grundlegenden Anforderungen (jetzt grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen) sind deutlich umfangreicher. Das betrifft auch die Anforderungen an die Begleitinformationen.
- Die Anforderungen an den Inhalt der Technischen Dokumentation werden in einem neuen Anhang 2 der Medical Device Regulation zukünftig deutlich detaillierter geregelt. Die kontinuierliche Aktualisierung dieser Unterlagen ist eine der neuen Anforderungen. Lesen Sie weiter unten mehr zu den geänderten Anforderungen in der technischen Dokumentation.
- Die MDR gibt umfangreiche Vorgaben für die Post-Market-Surveillance. Dazu zählen ein Post-Market-Surveillance-Plan ebenso wie Berichte (z. B. Periodic Safety Update Report, PSUR).
- Klinische Bewertungen und klinische Prüfungen werden detaillierter geregelt und vorgeschrieben. Dabei wird die Medical Device Regulation konkreter, was Art und Qualität der klinischen Daten betrifft. Auch die Daten aus der Post-Market Surveillance sind im Rahmen des Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) einzubeziehen, um die klinische Bewertung regelmäßig zu aktualisieren.
- Höhere Anforderungen an Produkte mit Gefahrstoffen, insbesondere an krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe
- Die EU-Kommission behält sich vor, sogenannte gemeinsame Spezifikationen (common specifications) festzulegen, wenn sie der Meinung ist, dass harmonisierte Normen fehlen oder unzureichend sind.
- Jedes Produkt muss zukünftig eine eindeutige Produktidentifizierungsnummer (UDI) erhalten. Lesen Sie hierzu einen eigenen Beitrag zur UDI (Unique Device Identification).
- Die Anforderungen an die Wiederaufbereitung von Einmalprodukten sind gestiegen.
b) Anforderungen an die technische Dokumentation
Eine Übersicht über die Änderung der Anforderungen an die grundlegenden Anforderungen verschafft die folgende Tabelle:
Kategorie |
Detailforderung |
MDR |
MDD |
Beschreibung des Geräts |
Produkt- oder Handelsname
Allgemeine Beschreibung
Klassifizierung und Begründung
Varianten, Konfigurationen
Fotos |
X
X
X
X
X |
(X)
X
(X)
(X)
X |
Identifikation |
UDI DI |
X |
– |
Bestimmungs-gemäßer Gebrauch |
Zweckbestimmung
Vorgesehene Anwender
Patientenpopulation
Indikationen und Kontraindikationen
Vorgesehene Anwendung
Zubehör
Zusammenspiel mit anderen Produkten |
X
X
X
X
X
X
X |
X
–
–
–
(X)
–
(X) |
Physikalisches Prinzip |
Beschreibung der Neuerungen
Überblick über ähnliche Produkte
Überblick über Vorgängerprodukte |
X
X
X |
–
–
– |
Aufbau |
Wesentliche Funktionen
Teile, Komponenten, Zusammensetzung
Zeichnungen, Diagramme, Erläuterungen
Beschreibung von Materialien (mit Körperkontakt)
Technische Spezifikationen
Berechnungen |
X
X
X
X
X
– |
–
X
X
–
–
X |
Labeling |
Broschüren, Kataloge
Gebrauchsanweisungen
Beschriftungen
Verpackungen |
X
X
X
X |
–
X
X
– |
Herstellung |
Entwicklungs- und Produktionsphasen inklusive Validierung von Prozess und Werkzeugen, Testen des Produkts
Angabe aller Standorte einschließlich aller an der Entwicklung und Produktion beteiligten Lieferanten und Unterauftragnehmer |
X
X |
X
– |
Qualitätssicherung |
Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Sicherheit
Referenzen auf Nachweise aller grundlegenden Anforderungen
Verifizierung und Validierung zum Nachweis der grundlegenden Anforderungen mit Begründung der Wahl insbesondere betreffend
- Sicherheit
- Performanz
- Bei Messfunktion: Genauigkeit
- Interoperabilität
Nennung aller harmonisierten Normen oder anderer Standards |
X
X
X
X |
X
X
X
X |
Risikomanagement |
Risiko-Nutzenanalyse
Risikomanagementplan
Risikoakzeptanz
Risikoanalyse (auch durch Gebrauchstauglichkeit, Produktion und nachgelagerte Phase)
Maßnahmen zur Risikokontrolle
Ergebnisse des Risikomanagements und Maßnahmen |
X
X
X
X
X
X |
X
X
X
(X)
X
X |
Daten aus Forschung und Entwicklung (prä-klinische und klinische Daten) |
Ergebnisse von Vortests (z.B. Labor, Simulation, Tierversuche) einschließlich Beschreibung des Testdesigns z.B. mit Bezug zur
- Biokompatibilität
- elektrischen Sicherheit
- biologische und toxische Materialien (hier nicht näher untersucht)
- Software (s. nächster Punkt)
Klinische Bewertung |
X
X
|
(X)
X
|
Software |
Verifizierung
Validierung
Architektur
Entwicklungsprozess
Tests mit verschiedener Hardware
Tests „inhouse“ und in Gebrauchsumgebung |
X
X
X
X
X
X |
(X)
X
–
X
–
– |
Postproduktion |
Hier nicht näher beleuchtet |
X |
X |
c) Klassifizierung, Zulassung, Inverkehrbringung
- Änderung bei den Konformitätsbewertungsverfahren: Ein Verfahren vergleichbar Anhang VI der MDD gibt es nicht mehr. Die gute Nachricht ist, dass es die Konformitätsbewertung durch die Hersteller noch gibt, also eine Zulassung ohne eine europäische Medizinprodukte-Behörde, wie man es von Arzneimitteln kennt.
- Einführung eines Scrutiny-Verfahrens: Benannte Stellen können verpflichtet werden, jeden neuen Antrag auf Konformitätsbewertung für ein Produkt mit hohem Risiko an eine Expertenkommission (die Medical Device Coordination Group, MDCG) zu melden. Welche Konsequenzen dies hat und wie sehr Produkteinführungen verzögert werden, ist derzeit unklar.
- Die Klassifizierung einiger Produkte ändert sich. So müssen eine Reihe von Implantaten, die bisher in Klasse IIb eingestuft waren, nun die Anforderungen von Klasse-III-Produkten erfüllen. Software fällt kaum noch in die Klasse I. Lesen Sie zur Regel 11 hier einen ausführlichen Artikel.
- Es wird eine EU-weite Vereinheitlichung der Tätigkeit und der Prüfbescheinigungen der Benannten Stelle geben (MDR Zertifikat).
d) Sonstiges
Weiterführende Informationen
Lesen Sie in einem separaten Beitrag mehr über die neuen und geänderten Anforderungen der MDR an die Entwicklung medizinischer Software und die künftige Bedeutung der harmonisierten Normen.
3. Umstieg auf die MDR
a) Videoserie zur Medical Device Regulation MDR
Lernen Sie in der Videoserie die wichtigsten Neuerungen und die sieben Schritte zum Umstieg auf die MDR kennen.
Abb. 2: Videoserie zur MDR.
Sie können sich hier registrieren für die neue Serie an Videotrainings zur MDR und die Mindmap herunterladen.
Zum ersten Videotraining
b) Von was der Umstieg abhängt
Das Video nennt die sieben wichtigen Schritte, die Medizintechnik-Hersteller gehen sollten, um von den EU-Richtlinien (MDD, AIMD) auf die EU-Verordnung MDR umzusteigen.
Sie sollten dabei die folgenden Einflussfaktoren beachten:
- Klassifizierung
- Klasse des Medizinprodukts: Klasse-I-Produkte trifft der Umstieg weniger hart als Produkte der Klasse I* oder höher.
- Änderung der Klassifizierung: Sobald sich die Klasse und damit die Konformitätsbewertungsverfahren ändern, müssen Hersteller besondere Herausforderungen bewältigen. Das kann die Zulassung des Produkts verzögern!
- Stand der QM-Systems: Die ISO 13485:2016 stellt Anforderungen an QM-Systeme, die näher an denen der MDR liegen als ältere Versionen der Norm.
- Produkttyp: Für einige Produkttypen hat die MDR die Hürden besonders verschärft. Dazu zählen Produkte, die Nanopartikel oder Arzneimittel enthalten, Implantate und Produkte, die Software enthalten oder Software sind oder die zur Klasse der wiederaufbereitbaren chirurgischen Instrumente zählen.
- Form der Inverkehrbringung: Firmen, die Produkte in einem PLM-OEM-Konstrukt vermarktet haben, trifft die MDR besonders hart.
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4. Übersicht über die MDR
a) Die Kapitel
Die Medical Device Regulation MDR ist im Vergleich zur MDD völlig neu strukturiert:
- Kapitel: Anwendungsbereich und Definitionen
- Kapitel: Anforderungen an Hersteller, Distributoren und Mitgliedsstaaten: Konformitätsbewertungsverfahren, Labeling, Post-Market Clinical Follow-up, Post-Market Surveillance u. v. m.
- Kapitel: Nachverfolgbarkeit von Produkten, v. a. UDI
- Kapitel: Anforderungen an die benannten Stellen
- Kapitel: Klassifizierung und Konformitätsbewertung
- Kapitel: Klinische Bewertungen und klinische Prüfungen
- Kapitel: Marktüberwachung, Meldewesen
- Kapitel: Zusammenarbeit von Mitgliedsstaaten, „Medical Device Coodination Group“ und anderen Experten
- Kapitel: Vertraulichkeit, Datenschutz, Strafen
- Kapitel: Übergangsfristen und mehr
Abb. 4: Die vollständige Mindmap (verfügbar im Auditgarant sowie im Starter-Kit) verschafft einen schnellen Überblick über die mehr als 500 Seiten Anforderungen der MDR.
b) Die Anhänge
Es folgen zahlreiche Anhänge:
- General safety and performance requirements
- Technical documentation
- Technical documentation on post-market surveillance
- EU declaration of conformity
- CE marking for conformity
- Information to be submitted with the registration of devices and economic operators (UDI)
- Requirements to be met by notified bodies
- Classification criteria
- Conformity assessment based on a quality management system and assessment of the technical documentation
- Conformity assessment based on type examination
- Conformity assessment based on product conformity verification
- Procedure for custom-made devices
- Certificates issued by a notified body
- Clinical evaluation and PMCF
- Clinical investigations
- List of groups of products without an intended medical purpose
- Correlation table
c) MDR als verlinktes Dokument
Mit 177 Seiten ist die MDR ein komplexer und schwer zu navigierender Text. Daher haben wir Ihnen das Dokument ergänzt um
- ein Inhaltsverzeichnis, über das Sie direkt zu den Kapiteln, Artikeln und Anhängen navigieren können,
- verlinkte Begriffsdefinitionen, damit Sie sofort erkennen, wann ein definierter Begriff verwendet wird und wie die Definition lautet, und
- Links auf Kapitel, Artikel und Anhänge, auf die der Text Bezug nimmt. Wenn beispielsweise Artikel 10 eine klinische Bewertung gemäß Artikel 61 fordert, dann führt Sie der Link in Artikel 10 direkt zum Artikel 61.
Weiterführende Informationen
Sie finden hier die MDR als verlinktes Dokument.
5. Übergangsfristen bei der Einführung der MDR
Es gilt eine (theoretische) Übergangsfrist von drei Jahren. Spätestens danach müssen die Hersteller ein MDR-Zertifikat vorlegen, wenn sie ein Produkt erstmalig in Verkehr bringen.
(2) Bescheinigungen, die von Benannten Stellen vor dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt wurden, bleiben bis zu dem in der Bescheinigung angegebenen Zeitpunkt gültig, außer im Fall von Bescheinigungen gemäß Anhang 4 der Richtlinie 90/385/EWG bzw. gemäß Anhang IV der Richtlinie 93/42/EWG, die spätestens am 27. Mai 2022 ihre Gültigkeit verlieren.
Bescheinigungen, die von Benannten Stellen nach dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt werden, behalten ihre Gültigkeit bis zum Ende des darin angegebenen Zeitraums, der fünf Jahre ab der Ausstellung nicht überschreiten darf. Sie verlieren jedoch spätestens am 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit.
(4) Produkte, die vor dem 26. Mai 2020 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, und Produkte, die ab dem 26. Mai 2020 aufgrund einer Bescheinigung gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels in Verkehr gebracht wurden können bis zum 27. Mai 2025 weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden.
MDR Artikel 120
Es gibt noch weitere relevante Dokumente:
- Das Bundesgesundheitsministerium hat den Arbeitskreis NAKI ins Leben gerufen, der ein FAQ zu den Übergangsfristen publiziert hat.
- Ein weiteres FAQ stammt von der CAMD Transition Sub Group. CAMD steht für „Competent Authorities for Medical Devices“.
- Auch die MDCG hat das Dokument 2019-10 herausgebracht, in der sie ihre Überlegungen zum Übergang bezüglich der Marktüberwachung darlegt. Demnach ist es möglich, dass ein Hersteller von den Übergangsfristen auch dann profitiert, wenn seine Benannte Stelle noch nicht für die MDR benannt ist. Die Voraussetzung ist aber, dass die Benannte Stelle weiterhin die Marktüberwachung aktiv durchführt und bei Problemen handelt.
Weiterführende Informationen
Die beste Übersicht finden Sie in unserem umfassenden Beitrag zu den Übergangsfristen bei der MDR.
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6. Hintergrundinformationen
a) Unterschied zwischen europäischen Richtlinien und Verordnungen
Die deutsche Übersetzung für Medical Device Regulation wäre Medizinprodukteverordnung. Die europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) darf aber nicht mit der nationalen Medizinprodukteverordnung MPV verwechselt werden. Um Verwechslungen zu vermeiden, nutzen wir den englischen Begriff Medical Device Regulation.
Europäische Richtlinien
Der Begriff Richtlinie lässt analog dem Begriff „Richtgeschwindigkeit“ auf eine Freiwilligkeit der Anwendung schließen. Aber die EU-Harmonisierungsrichtlinien sind klare Direktiven (Directives), die sich an die sogenannten Wirtschaftsakteure (Hersteller und Inverkehrbringer) richten. Hersteller und/oder Inverkehrbringer müssen die Richtlinienanforderungen generell erfüllen.
Eine EU-Richtlinie wird unter Beteiligung der EU-Mitgliedsländer und der EWR-Staaten erarbeitet und muss gemäß EWG-Vertrag, Art.100a innerhalb einer vorgegebenen Frist (meist 6 bis 24 Monate) über die nationalen Parlamente in nationales Recht umgesetzt werden. Abstriche oder Veränderungen sind nicht gestattet. Aber nationale, darüber hinausgehende Anforderungen sind möglich (z. B.: deutsches Medizinproduktegesetz (MPG) § 31 Medizinprodukteberater).
Europäische Verordnungen
Eine EU-Verordnung wie die MDR wird hingegen von der EU-Kommission in Brüssel ohne direkte Zustimmung der Länderparlamente erlassen und ist innerhalb einer vorgegebenen Frist als europäisches, übernationales Recht anzuwenden. Nationale, darüber hinausgehende Anforderungen sind aber auch hier möglich. Wahrscheinlich wird es – nach heutiger Einschätzung – ein ergänzendes deutsches Medizinproduktegesetz geben, das als rechtliche Basis für die nationalen Medizinprodukte-Verordnungen, vor allem für die Medizinprodukte-Betreiberverordnung benötigt wird.
Wenn die bisherigen Medizinprodukte-Richtlinien durch die Medical Device Regulation abgelöst werden, die die beiden genannten Richtlinien zusammenfasst, dann tritt die Medical Device Regulation vom Tag des Erscheinens an in Kraft und ist direkt in allen EU-Mitgliedsstaaten anzuwenden.
b) Gründe für die Ablösung der bisherigen Medizinprodukte-Richtlinien
Einer der Gründe, die bisherigen Richtlinien abzulösen, ergab sich durch den sogenannten PIP-Skandal. Ein Hersteller verwendete für Brustimplantate in krimineller Absicht Industrie-Silikon anstelle hochreinen medizinischen Silikons.
Nach Bekanntwerden dieser Machenschaften begannen Überlegungen, wie man derartige kriminelle Prozesse zukünftig durch eine Verschärfung der Anforderungen an die Zulassung und damit an die Inverkehrbringung sowie an die Marktüberwachung verhindern könne.
7. Kritik an der MDR
Wie die Hersteller die MDR bewerten, das erfahren Sie im folgenden Video.
a) Gefahr für Patientensicherheit
Durch die erhöhten Anforderungen, die gestiegenen Kosten und die unzureichende Anzahl und Kapazität Benannter Stellen besteht zu befürchten, dass Medizinprodukte nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
Die Neue Zürcher Zeitung übertitelt einen Artikel zur MDR mit „Wenn die Politik ein Monster gebiert“. Die Zeitung hat leider Recht: „Es wird unweigerlich zu einer Konsolidierung kommen. Entweder werden die Kleinen aus dem Markt gedrängt oder zu Zulieferern der Grosskonzerne degradiert.“
In einem weiteren Artikel vom 12.02.2018 äußert die Zeitung sogar die Bedenken, dass notwendige Produkte nicht mehr im Markt verfügbar sein werden. Die Autoren schlussfolgern: „Das ursprüngliche Ziel der neuen Regulierung, die Patientensicherheit bei Medtech-Produkten zu erhöhen, dürfte verfehlt werden.“
b) Gefährdung der KMUs
Die Medical Device Regulation ist völlig an ihrem selbstgesetzten Ziel gescheitert, eine Regelung zu schaffen, die auch für kleine und mittlere Unternehmen beherrschbar ist.
- Wie soll ein solches KMU ein 175-seitiges Werk lesen und verstehen können?
- Woher soll ein KMU die Mittel nehmen, um eine weitere Rolle, den „Compliance Officer“ zu besetzen?
- Weshalb werden die meisten Apps in die Klassen IIa und höher klassifiziert, was eine Benannte Stelle erfordert und die Kosten explodieren lässt? (Lesen Sie hierzu einen separaten Artikel)
- Weshalb bedarf es neben den harmonisierten Normen nun zusätzlich der Common Specifications? Waren die Normen wirklich unzureichend? Oder wollte die Kommission sich nur ein Instrument schaffen, um lästige Diskussion mit den Normengremien mit Gewalt zu zu beenden? Weshalb maßt sich die Kommission ein besseres Fachwissen an? Dass Sie auf diese Weise quasi beliebig neue Anforderungen formulieren kann, verwundert. Alles vorbei an jedem parlamentarischen Prozess …
c) Wettbewerbsnachteile durch Kosten
Die Hersteller müssen mit höheren Kosten rechnen, die entstehen durch
- gestiegenen Anforderungen an die Dokumentation,
- die Pflicht zur erneuten Zulassung, d. h. ein erneutes Durchlaufen der Konformitätsbewertungsverfahren von bereits unter der MDD zugelassenen Produkten
- die höheren Aufwände für die Marktbeobachtung (Post-Market Surveillance und Post-Market Clinical Follow-up),
- zusätzliche Meldungen, z. B. an die EUDAMED,
- Systeme zum Erstellen und Nachverfolgen der UDI,
- die Pflicht zur Einführung eines Compliance Officers.
Die Komplexität der Materie zwingt viele Hersteller dazu, vor einer Inverkehrbringung externe Beratung in Anspruch zu nehmen.
Das Johner Institut ist sich dieser Problematik bewusst und bietet im Rahmen des Micro-Consultings in eingeschränkten Umfang sogar kostenlose Unterstützung an.
Die NZZ befürchtet 18 Mrd. EUR an Kosten für die Medizintechnikfirmen, um die Anforderungen der MDR zu erfüllen.
Auch der BVMed klagt in seinen „BVMedNews“ 41/17 und 42/17 gar von einem sinkenden Innovationsklima wegen der Regularien. Man schreibt zudem „in Kombination mit einer tiefen Verunsicherung hinsichtlich der MDR-Umsetzung für KMU eine tödliche Kombination, da sie mittel- und langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen, zu reduzierten Investitionen sowie dem Verlust von sozialversicherungspichtigen Arbeitsplätzen führen!“
Daher fordert der BVMED, dass der „kleine Mittelstand auch durch die umfassenden neuen klinischen Anforderungen […] besonders hart getroffen werde“ und „ein nationales Förderprogramm für diese KMUs ist für das Überleben des Klein-Mittelstandes dringend notwendig“ sei.
d) Es gab keinen Grund
Auch der BVMed, der Bundesverband Medizintechnologie, scheint Bedenken zu haben. In einer Pressemitteilung gibt der Verband seine Sicht der Dinge wider:
„Bei Medizinprodukten gibt es kein Regelungsdefizit, sondern eher ein Vollzugsdefizit. Daher sind bessere Kontrollen durch die Benannten Stellen und die zuständigen Aufsichtsbehörden bei Herstellern und im Markt sinnvoll.“
Dieser Aussage kann man absolut zustimmen: Wenn man sieht, welche Unterlagen bei Audits durchgewunken wurden, wie häufig und wie intensiv die Behörden prüfen, fragt man sich manchmal schon, ob da überhaupt eine Prüfung stattfand. Eben ein Vollzugsdefizit.
Den Beweis, dass wir ein regulatorisches Problem hatten, das die MDR lösen müsste, ist die EU-Kommission schuldig geblieben.
e) Die Konsequenzen wurden nicht abgeschätzt und werden noch immer nicht verstanden
Es gab und gibt keine Evidenz, dass das System der EU-Verordnungen dem alten System der EU-Richtlinien überlegen ist. Es gibt nicht einmal explizite Zielgrößen, die man optimieren will.
- Stärkung des Wirtschaftsstandorts
- Entlastung des Gesundheitswesens
- Schutz der Patienten vor insuffizienten Produkten
- Schutz der Patienten vor fehlenden Produkten
Auch im September 2021 fällt die Antwort der Bundesregierung auf Fragen genau zu diesen Themen sehr dürftig aus. Beispiele dafür sind:
Aussage |
Bewertung |
Mit ihren angepassten Marktzugangsregelungen und -kriterien für Medizinprodukte stellt sie [die MDR] nach Ansicht der Bundesregierung einen Kompromiss hinsichtlich der angestrebten Balance zwischen der notwendigen Patientensicherheit und dem frühzeitigen Zugang zu sicheren, effektiven und innovativen Medizinprodukten dar. |
Zumindest unbewiesen, eher falsch Genau dieser Beweis wurde bislang nicht erbracht. Es fehlt sowohl die Evidenz, dass eine Neuregulierung das Nutzen-Risiko-Verhältnis verbessern wird, als auch die Evidenz, dass dies gelungen ist. Im Gegenteil: Die Studie des Johner Instituts zeigt, dass der Zugang zu Medizinprodukten erschwert wird, sodass die meisten Hersteller Produkte aus dem Markt nehmen werden. |
Die MDR enthält eine Vielzahl von Möglichkeiten über Leitlinien, aber auch durch rechtlich verbindliche Durchführungsrechtsakte eine erfolgreiche Implementierung sowie einen angemessenen Übergang vom alten zum neuen Recht zu erreichen. |
Eher falsch Der Satz stimmt grammatikalisch nicht. Daher ist unklar, ob die Aussage darin besteht, dass die Leitlinien beitragen, den angemessenen Übergang zu erreichen, oder ob das „nur“ das Ziel der Leitlinien ist. Da viele Leitlinien (gemeint sind z. B. die der MDCG) zum Geltungsbeginn fehlten und diese noch immer nicht vollständig sind, konnten sie gar nicht helfen, das Ziel vollständig zu erreichen. |
Der offizielle Geltungsbeginn der MDR am 26. Mai 2021 ohne bislang spürbare Marktveränderungen ist auch das hohe Engagement der Industrie, der Benannten Stellen, der Behörden der Mitgliedstaaten und der Europäische Kommission ermöglicht worden. |
Heikle Aussage Auch dieser Satz stimmt grammatikalisch nicht, sodass die Aussage etwas unklar bleibt. Wenn die Aussage wäre, dass es bisher keine spürbaren Marktveränderungen gäbe, könnten das Hersteller angesichts der Übergangsfristen als zynisch verstehen. Es erinnert an die Person, die aus dem 10 Stock eines Hochhauses springt und auf Höhe des dritten Stocks glaubt, alles sei gut. Schließlich sei noch nichts passiert. |
Der Bundesregierung liegen derzeit keine Informationen vor, die signifikante Auswirkungen auf die Planungssicherheit der MedTech-Unternehmen vermuten lassen. |
Die eigentliche Frage nicht beantwortet Die Aussage der Regierung ist sicher zutreffend. Was die Fragenden aber eigentlich wissen wollten, ist, ob sich die MedTech-Firmen darauf verlassen können, dass ihre Produkte zeitnah zugelassen werden. Wer beim Institutstag war, weiß, dass es nahezu sicher ist, dass das nicht funktionieren wird. Das ließe sich auch als eine Form der Planungssicherheit sehen. |
Der Bundesregierung liegen unmittelbar keine Informationen für grundlegende Kapazitätsengpässe bei Benannten Stellen für die Durchführung der Konformitätsbewertungsverfahren vor. |
Informationsdefizit Es bleibt unklar, weshalb der Regierung diese Informationen nicht vorliegen. Fakt ist: Die Benannten Stellen bauen Hunderte Stellen auf. Das wäre nicht notwendig, wenn es keine Kapazitätsengpässe gäbe. Die Benannten Stellen sagen selbst, dass sie den Bedarf nicht werden decken können. Es gibt also die Engpässe, und sie werden größer. |
Der Bundesregierung liegen keine Informationen über aktuelle oder bevor- stehende Versorgungsengpässe vor. |
Informationsdefizit In Baden-Württemberg liegen diese Informationen zumindest teilweise vor. Wir berichten demnächst darüber. |
Die in Frage 12 zitierte Statistik von TEAM-NB deutet an, dass bisher nur für wenige Bestandsprodukte (im Frühjahr 2021 etwa 10 Prozent) Anträge auf Zertifizierung nach der MDR gestellt wurden. Dies lässt keinen aktuellen Zertifizierungsstau erkennen. |
Unklare Logik Diese Logik erschließt sich nicht sofort: Aus der Tatsache, dass erst ein verschwindend kleiner Anteil den Antrag auf Zertifizierung gestellt hat, soll folgen, dass kein Stau erkennbar ist? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Aus der Tatsache, dass noch über 90 % der Zertifizierungen aussteht und das System schon jetzt überlastet ist, lässt sich ableiten, dass der Stau bevorsteht! |
Der Bundesregierung liegen keine Informationen dahingehend vor, dass die Regulatory-Affairs-Abteilungen der Unternehmen Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung haben. |
Informationsdefizit Es ist schwer nachvollziehen, wie es entgehen kann, dass es diese Schwierigkeiten gibt. Gibt es ein Unternehmen, dass diese Schwierigkeiten nicht hat? Die täglichen Anfragen am Johner Institut sprechen eine eindeutige Sprache. |
Der Bundesregierung sind keine derartigen Initiativen zur gezielten Ausbildung von Fachpersonal für Benannte Stellen bekannt. |
Informationsdefizit Das Johner Institut bietet einen Studiengang „Regulatory Affairs Management“ an, der sich explizit auch an Benannte Stellen richtet. Allerdings übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches. |
f) Fazit
Auch wenn wir als Beratungsunternehmen vielleicht von den neuen Regularien profitieren: Freuen können wir uns darüber nicht. Denn mit der MDR schaden wir den Bürgern mehr, als wir ihnen nützen. Die horrenden Kosten, die letztlich das Gesundheitswesen zu begleichen hat, die Toten, die es geben kann, weil Medizinprodukte nicht verfügbar sind, all das zählt niemand.
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Änderungshistorie (ab Mai 2021)
- 201-10-10: Abschnitt 7.e) (die Konsequenzen wurden nicht betrachtet und werden nicht verstanden) eingefügt
- 2021-07-26: Link zu neuem Corrigendum ergänzt
- 2021-05-24: Neuen Beitrag zur Konformitätserklärung verlinkt