Mit dem Label „For Research Use Only“ (RUO) erklären Hersteller, dass ihre Produkte nicht in diagnostischen Verfahren eingesetzt werden sollen. Sie vermeiden damit die aufwendige Dokumentation für In-vitro-Diagnostika (CE-IVD). Dennoch verwenden z. B. medizinische Labore RUO-Produkte in diagnostischen Verfahren teilweise im Wissen der Hersteller. Das kann Konsequenzen haben – nicht nur für Hersteller und Betreiber, sondern auch für Patient:innen.
Erfahren Sie in diesem Beitrag
- was das Label “For Research Use Only” (RUO) bedeutet,
- welche Anforderungen an RUO-Produkte bestehen,
- wie Sie rechtliche Probleme vermeiden und
- welche Alternativen es zu RUO-Produkten gibt.
1. “For Research Use Only” – Was bedeutet das?
Erhalten Produkte das Label “For Research Use Only”, sind damit weitreichende Konsequenzen verbunden. Diese Art Produkte unterliegen kaum regulatorischen Kontrollen. Sie sind somit für viele Hersteller und Betreiber begehrte Alternativen zu den kosten- und aufwandsintensiveren konformitätsbewerteten IVD (CE-IVD), die die geltenden rechtlichen Anforderungen erfüllen müssen.
a) Betroffene Institutionen
Berührungspunkte mit RUO-Produkten haben vor allem:
- Medizinische Labore
- Medizinische Labore können zwar RUO-Produkte verwenden, werden dann aber zum Eigenhersteller mit allen daraus folgenden Konsequenzen.
Mehr Informationen zu “Lab Developed Tests” finden Sie in unserem Beitrag “Die EU reguliert medizinische Labore. Sind Laboratory Developed Tests noch erlaubt?”
- Nutzen medizinische Labore RUO-Produkte zu anderen Zwecken als Forschungszwecken, machen sie sich schlimmstenfalls haft- und/oder strafbar.
- Medizinische Labore sollten sich daher über die Rahmenbedingungen von RUO und mögliche Alternativen informieren.
- Hersteller
Hersteller setzen RUO-Produkte als Komponenten für ihre IVD ein. Sie sollten sich daher genauestens mit den Voraussetzungen vertraut machen, bevor sie ein Produkt als “RUO” kennzeichnen.
b) Definition
Eine einheitliche Definition von Produkten “For Research Use Only” existiert nicht. Allgemein lässt sich darunter das verstehen, was der Name besagt, nämlich Produkte zur Analyse, die ausschließlich für wissenschaftliche Forschungszwecke gedacht sind.
Von anderen Produkten grenzen sie sich vor allem dadurch ab, dass sie keinen medizinischen Zwecken dienen dürfen.
Das Verständnis von “For Research Use Only” ist allerdings in Europa und den USA unterschiedlich.
Produktarten, von denen RUO-Produkte abzugrenzen sind (RUO: For Research Use Only; GLU: General Laboratory Use; PSO: For Performance Studies Only; IVD: In Vitro Diagnostic Medical Device)
Definition in Europa
In Europa liefert die Leitlinie MEDDEV 2.14/2 („IVD Guidance: Research Use Only products – A guide for manufacturers and notified bodies“) Anhaltspunkte für die Definition von RUO. Diese Leitlinie ist zwar im Rahmen der inzwischen veralteten Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD) entstanden, kann jedoch mangels eines aktuellen Ersatzes noch immer als Stand der Technik (state of the art) betrachtet werden.
MEDDEV 2.14/2 besagt:
“for a product to be categorized as an RUO product it must have no intended medical purpose or objective.”
Quelle: MEDDEV 2.14/2 rev.1
Demnach darf ein RUO-Produkt also nicht einmal ansatzweise einen medizinischen Zweck erkennen lassen.
Im Falle von inhouse entwickelten Tests (LDTs) gilt dies jedoch nicht, solange die Produkte nicht an andere Unternehmen abgegeben werden. Folgende konkrete Beispiele für LDT, die unter dieser Voraussetzung als “For Research Use Only” bezeichnet werden dürfen, nennt die Leitlinie beim Namen:
- PCR-Enzyme
- Gelkomponenten (Agar)
- Primer
Auch die EU-Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) geht auf RUO ein.
“device for performance study’ means a device intended by the manufacturer to be used in a performance study.
A device intended to be used for research purposes, without any medical objective, shall not be deemed to be a device for performance study;”
Quelle: IVDR Art. 2 Nr. 45
Die IVDR grenzt RUO somit ebenso wie MEDDEV 2.14/1 („IVD Medical Device Borderline and Classification issues“) vor allem von “Produkten für Leistungsstudien” ab.
Auch hier erfolgt die Definition über den fehlenden medizinischen Zweck von RUO.
Definition: For research Use Only (RUO) in der EU
Entscheidend für die Qualifizierung als RUO-Produkt ist, dass diese keinen medizinischen Zweck erfüllen. Bereits der Verdacht eines solchen medizinischen Zwecks genügt, um ein Produkt nicht mehr als RUO-Produkt ansehen zu können.
(vgl. MEDDEV 2.14/1 Punkt 1.1 4.)
Definition in den USA
Die FDA verfasste 2013 ein Guidance-Dokument zu RUO mit dem Titel: “Distribution of In Vitro Diagnostic Products Labeled for Research Use Only or Investigational Use Only”.
Diese Leitlinie definiert RUO folgendermaßen:
“An RUO product is an IVD product that is in the laboratory research phase of development and is being shipped or delivered for an investigation that is not subject to part 812 [Anm.: In part 812 geht es um Bereitstellung von Produkten für Leistungsbewertungszwecke als Vorstufe zum IVD.]”
Quelle: FDA Guide “Distribution of In Vitro Diagnostic Products Labeled for Research Use Only or Investigational Use Only”.
Einige Beispiele für Produkte, die nach Ansicht der FDA in diese Forschungsphase fallen, sind:
- Tests, die sich in der Entwicklung befinden, um die Methodik des Testkits, die erforderlichen Komponenten und die zu messenden Analyten zu ermitteln.
- Instrumente, Software oder andere elektrische/mechanische Komponenten, die sich in der Entwicklung befinden, um die korrekten Einstellungen, Unterkomponenten, Untergruppen, grundlegenden Betriebseigenschaften und möglichen Verwendungsmethoden zu bestimmen.
- In der Entwicklung befindliche Reagenzien, um Produktionsmethoden, Reinigungsgrade, Verpackungsanforderungen, Haltbarkeit, Lagerungsbedingungen usw. zu bestimmen.
Speziell an Produkte, die sich in einer Forschungsphase befinden, muss laut FDA also eine deutlich sichtbare RUO-Kennzeichnung angebracht werden.
c) Was das Label “For Research Use Only” für Folgen hat
Normalerweise unterliegen IVD, abhängig von ihrer Risikoklasse, unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen (etwa nach IVDR oder FDA).
RUO-Produkte fallen jedoch nicht unter die Definition von “In-vitro-Diagnostikum” der IVDR oder der einschlägigen FDA-Vorschriften. Diese sind damit auf RUO nicht anwendbar.
Definition: In-vitro-Diagnostikum (IVD) in der EU
“‚In-vitro-Diagnostikum‘ bezeichnet ein Medizinprodukt, das als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibrator, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät, Software oder System – einzeln oder in Verbindung miteinander – vom Hersteller zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, einschließlich Blut- und Gewebespenden, bestimmt ist und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dient, Informationen zu einem oder mehreren der folgenden Punkte zu liefern
a) über physiologische oder pathologische Prozesse oder Zustände,
b) über kongenitale körperliche oder geistige Beeinträchtigungen,
c) über die Prädisposition für einen bestimmten gesundheitlichen Zustand oder eine bestimmte Krankheit,
d) zur Feststellung der Unbedenklichkeit und Verträglichkeit bei den potenziellen Empfängern,
e) über die voraussichtliche Wirkung einer Behandlung oder die voraussichtlichen Reaktionen darauf oder
f) zur Festlegung oder Überwachung therapeutischer Maßnahmen.
Probenbehältnisse gelten als auch In-vitro-Diagnostika;“
Quelle: Artikel 2 IVDR
Definition: Definition: In-vitro-Diagnostikum (IVD) in den USA
„In vitro diagnostic products are those reagents, instruments, and systems intended for use in diagnosis of disease or other conditions, including a determination of the state of health, in order to cure, mitigate, treat, or prevent disease or its sequelae. Such products are intended for use in the collection, preparation, and examination of specimens taken from the human body.”
Quelle: 21 CFR 809.3
Für RUO gelten die regulatorischen Anforderungen der IVDR daher nicht. In den USA sind sie von den cGMP und den FDA-Qualitätsvorschriften ausgenommen.
Je nach Produkt müssen Sie daher allenfalls Anforderungen erfüllen, die nicht speziell für IVD vorgesehen sind (etwa die REACH Verordnung für Chemikalien oder die Maschinenrichtlinie).
Da RUO demnach erheblich weniger Kontrollen unterliegen als IVD, ist es notwendig, ihren Einsatz stark zu begrenzen.
Daher dürfen Labore diese insbesondere nicht verwendet werden, um:
- Diagnosen durchzuführen und
- Leistungsstudien zu betreiben.
2. Gebrauch und Missbrauch des “Research-Use-Only”-Labels
a) Wofür RUO-Produkte eigentlich gedacht sind
Wie der Name „For Research Use Only“ besagt, sind Produkte mit RUO-Kennzeichnung eigentlich ausschließlich für Forschungszwecke vorgesehen. Die vereinfachte Handhabung und die niedrigen Hürden beim Inverkehrbringen machen RUO für diesen Bereich attraktiv.
MEDDEV. 2.14/2 rev.1 listet mögliche Anwendungsbereiche von RUO genau auf:
- Grundlagenforschung
- Pharmazeutische Forschung
- Bessere Identifizierung und Quantifizierung einzelner chemischer Substanzen oder Liganden in biologischen Präparaten
- Eigene Herstellung von so genannten „Homebrew-Kits“ zu Forschungszwecken
Explizit nicht als RUO gilt etwa:
- Die Verwendung von Rohstoffen, die als „For Research Use Only“ gekennzeichnet sind, die aber in einem Endprodukt verarbeitet werden
- Sogenannte „Forschungsprodukte“, die gegen ein IVD-Vergleichsprodukt getestet werden, das die CE-Kennzeichnung trägt
- Produkte für Marktstudien/ Durchführbarkeitsstudien
b) Wofür RUO-Produkte außerdem oft verwendet werden
Die geringen Hürden sind jedoch auch der Grund, aus denen RUO-Produkte des Öfteren für Zwecke verwendet werden, für die sie eigentlich nicht vorgesehen sind. Dies birgt sowohl für Hersteller als auch für Betreiber und Patient:innen Gefahren.
Verkauf von RUO-Produkten an medizinische Labore
RUO-Produkte werden von Herstellern teilweise auch an medizinische Labore vertrieben. Zwar forschen auch Mediziner:innen mitunter, doch dies ist kaum der Hauptzweck eines medizinischen Labors.
Daher muss man annehmen, dass im Vertriebsgespräch mit Ärztinnen und Ärzten stets ein medizinisches Interesse hinter der Anwendung des Produktes steht. Wer also wissentlich RUO-Produkte an medizinische Labore vertreibt, steht potenziell unter dem Verdacht, eine medizinische Zweckbestimmung hinter dem Vorwand „For Research Use Only“ zu verstecken, um sich der Verantwortung für ein Medizinprodukt zu entziehen.
Es gibt allerdings durchaus Labor-Produkte, die offensichtlich keinen konkreten medizinischen Zweck haben, wie z. B.
- reine Chemikalien
- Nährmedien
- Reaktionsgefäße
- Puffer
- Waschlösungen
Solche Produkte sollten am besten als „allgemeiner Laborbedarf“ statt als „RUO“ gekennzeichnet werden.
Tipp
Vermeiden Sie in den Werbematerialien für Produkte, die offensichtlich keinen medizinischen Zweck erfüllen, den Bezug zu konkreten diagnostischen Verfahren. Bleiben Sie bitte immer auf der technischen bzw. rein analytischen Ebene.
Die Sache mit den analyten-spezifischen Reagenzien
Wirklich kritisch kann es werden, wenn ein RUO-Produkt analyten-spezifische Reagenzien enthält, wie primäre Antikörper, FISH-Sonden, PCR-Primer und -Sonden, Sequenzierungs-Panels oder sonstige spezifische Produkte. Hier kann man bereits aus der Angabe der Leistung des Produktes ggf. einen medizinischen Zweck ableiten.
Beispiel:
Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Hersteller für ein RUO-gekennzeichnetes Kit zur Detektion viraler Gene eine Kopienzahl pro ml Blut angibt, die das Kit detektieren kann.
Die FDA kürzt den Begriff „Analyten-spezifische Reagenzien“ mit ASR ab und definiert ihn wie folgt:
Definition: Analyten-spezifische Reagenzien (ASR) in den USA
“Analyte specific reagents (ASR’s) are antibodies, both polyclonal and monoclonal, specific receptor proteins, ligands, nucleic acid sequences, and similar reagents which, through specific binding or chemical reaction with substances in a specimen, are intended for use in a diagnostic application for identification and quantification of an individual chemical substance or ligand in biological specimens.”
Quelle: 21CFR864.4020 a)
Das US-Recht weist ASR’s somit per se einen diagnostischen Zweck zu.
Ausnahme ASR in den USA:
Erlaubt ist jedoch der Verkauf von ASR an IVD-Hersteller als Komponenten für die Kit-Herstellung oder an nicht-klinische Labore ohne die Einhaltung regulatorischer Anforderungen, um Forschung und Entwicklung zu betreiben. Außerdem erlaubt die FDA deren Verkauf an klinische Laboratorien gemäß den Vorgaben der Clinical Laboratory Improvement Amendments of 1988 (CLIA). Ausdrücklich erlaubt ist dabei auch die Verwendung von ASR in einem Lab developed Test (LDT). Eine Voraussetzung für ASR ist jedoch, dass diese weder analytische noch klinische Leistungscharakteristika für sich beanspruchen dürfen. In den Begleitinformationen sollte daher die Aussage enthalten sein: „Analyte Specific Reagent. Analytical and performance characteristics are not established.„
ASR in der EU:
Das EU-Rechtssystem kennt diese Ausnahme nicht. Der Begriff „Analyte Specific Reagents“ taucht in keiner der geltenden Regelungen auf. Daher können solche Produkte in der EU je nach Argumentation einen allgemeinen Laborzweck haben. Sie fallen damit nicht unter die IVDR, wenn der Hersteller die Zweckbestimmung entsprechend ausweist.
Sollte der Hersteller jedoch solchen Produkten einen medizinischen bzw. diagnostischen Zweck zuweisen, sind ab Geltungsdatum der IVDR (derzeit 26. Mai 2022) die regulatorischen Hürden sehr hoch.
Entscheidend ist daher, ob Hersteller ihre Zweckbestimmung eindeutig festgelegt haben und ob die Kundenkommunikation über Werbematerialien damit im Einklang steht.
Anwendung von RUO-Produkten in medizinischen Laboren
Nicht nur aus Herstellersicht ergibt sich ein Problem mit dem Vertrieb von RUO an medizinische Labore. Auch die Labore selbst können sich als Betreiber falsch verhalten und damit ggf. haftbar werden.
- Medizinische Labore haben die Freiheit inhouse Tests selbst zu entwickeln. In diesen Fällen werden häufig RUO-Produkte in diagnostischen Verfahren eingesetzt.
Bereits im Rahmen der IVDD hat dies die MEDDEV. 2.14/2 kritisch gesehen. Mit der neuen Verordnung über In-vitro Diagnostika (IVDR) schränkt die EU den Routineeinsatz von solchen „Lab Developed Tests“ jedoch explizit stärker ein.
Lesen Sie mehr dazu in unserem Beitrag “Die EU reguliert medizinische Labore. Sind Laboratory Developed Tests noch erlaubt?”
- Wegen der geringen regulatorischen Hürden sind RUO-Produkte im Einkauf sehr günstig. Medizinische Labore bevorzugen die günstigeren RUO-Produkte gegenüber teuren CE-IVD-Produkten, wenn sie damit dasselbe Leistungsniveau erreichen können. Der Einsatz von RUO zu anderen Zwecken als Forschungszwecken ist, selbst wenn sie ähnliche Ergebnisse liefern, dennoch nicht gestattet.
3. Konsequenzen einer falschen Einordnung
Fehlende Kontrollen können sich nachteilig auf die Qualität auswirken. Ob ein Produkt tatsächlich “For Research Use Only” gedacht ist, sehen sich die einschlägigen Stellen (z. B. Behörden bei Inspektionen) daher durchaus genauer an.
Hersteller sollten außerdem beachten, dass es nicht ausreicht, ein “RUO”-Label an ein Produkt anzubringen, damit es nicht mehr die ansonsten gültigen Anforderungen an In-vitro Diagnostika (IVD) erfüllen muss.
Die FDA stellt in ihrem Guidance-Dokument zu RUO fest, dass einzig die tatsächlich vorgesehene Verwendung ein Produkt als RUO qualifiziert – oder eben nicht. Dazu zieht die FDA etwa auch Marketingmaterial oder andere Rahmenbedingungen als Beweis heran.
“Because these products are exempt from most regulatory controls, it is important that they are not distributed for clinical diagnostic uses.
Mere placement of an RUO or IUO label on an IVD product does not render the device exempt from otherwise applicable clearance, approval, or other requirements. FDA may determine that the device is intended for use in clinical diagnosis based on other evidence, including how the device is marketed.”
Herstellern und Betreibern, die Produkte mit RUO-Label zweckentfremden, drohen empfindliche Strafen, da Patient:innen oder sogar der Allgemeinheit gravierende Schäden entstehen können.
a) Konsequenzen für Hersteller und Betreiber
IVD fälschlicherweise unter dem RUO-Label zu vertreiben oder zu anderen Zwecken als Forschungszwecken einzusetzen, ist kein Kavaliersdelikt. Hersteller, die nachweislich einen diagnostischen Zweck hinter der RUO-Kennzeichnung verstecken oder verstecken wollen, müssen in Deutschland mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Gleiches gilt für Betreiber, die RUO-Produkte zweckentfremden. Es drohen Geld- oder sogar Gefängnisstrafen. Hinzu kommt eine mögliche Haftung bei Schäden, die Patient:innen entstehen.
b) Konsequenzen in den USA
Auch in den USA drohen empfindliche Strafen. Sollte ein RUO-Produkt fälschlicherweise dieses Label tragen, wäre das Produkt gemäß Abschnitt 502(a) und 502(o) des Gesetzes 21 U.S.C. 352(a), 352(o) falsch ausgewiesen und gilt gemäß Abschnitt 501(f) des Gesetzes 21 U.S.C. 351(f) als verunreinigt.
c) Konsequenzen für Patient:innen
Am härtesten kann es jedoch Patient:innen treffen. Die regulatorischen Anforderungen an IVD-Produkte sind schließlich keine aus der Luft gegriffenen Schikanen für Hersteller und Betreiber. Die Regelungen sollen die Patient:innen vor falschen Ergebnissen und daraus folgenden Fehlentscheidungen bewahren. Falsch-negative Ergebnisse können Patient:innen in falscher Sicherheit wiegen, und eine bestehende Erkrankung kann sich unbemerkt verschlimmern. Ein Beispiel ist die Metastasierung einer nicht festgestellten Krebserkrankung aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit des Tests.
Mängel können sogar so schwerwiegend sein, dass sie den Tod vieler Menschen verursachen: Eine nicht erkannte Virus-Infektion kann in der frühen Phase einer Pandemie viele Leben kosten, wie die Corona-Pandemie bedauerlicherweise gezeigt hat.
4. Alternativen zu “Research Use Only”
Um rechtliche Probleme und Gefahren für Dritte zu vermeiden, sollten Hersteller und Anwender in Grenzfällen auf Alternativen zu RUO ausweichen.
Neben CE-IVD-Produkten gibt es je nach Produktart und Anwendbarkeit bezogen auf die Zweckbestimmung noch die folgenden weiteren Alternativen zu RUO:
a) Allgemeiner Laborbedarf („products for general laboratory use“)
Entscheidend für die Qualifizierung als allgemeiner Laborbedarf sind gemäß der Leitlinie MEDDEV 2.14/1 („IVD Medical Device Borderline and Classification issues“) die Charakteristika des Produktes.
- Besitzt das betreffende Produkt keine charakteristischen Eigenschaften, die es für eine spezifische IVD-Untersuchung anwendbar machen, ist es auch kein IVD.
- Herstellern ist es untersagt, allgemeinen Laborbedarf als IVD zu kennzeichnen.
RUO products used for a better identification and quantification of individual chemical substances or ligands in biological specimens
Quelle: MEDDEV 2.14/2
Solche Produkte sollten einen allgemeinen Zweck haben. Sie müssen IVD-Anwendungen jedoch nicht ausschließen, solange sie nicht spezifisch für eine bestimmte Untersuchung gemacht sind. Gemäß MEDDEV 2.14/2 fallen sogar die zuvor beschriebenen analyten-spezifischen Reagenzien (ASR) ohne medizinischen Zweck unter diese Kategorie.
Die Nutzung von allgemeinem Laborbedarf anstelle von RUO-Produkten bietet einige Vorteile:
- Das Produkt fällt nicht unter die IVD-Richtlinie und auch nicht unter die IVDR, was Ihnen viel Aufwand erspart.
- Labore, die solche Produkte in Inhouse-Verfahren einsetzen, müssen sich nicht mehr den Vorwurf gefallen lassen, RUO-Produkte in der diagnostischen Routine zu verwenden.
Der Nachteil ist jedoch, dass das medizinische Labor die Verantwortung für die Konformität der Untersuchung mit der IVDR trägt. Das kann dazu führen, dass das Produkt uninteressant wird, weil die regulatorischen Anforderungen viel Aufwand bedeuten.
b) Lab Developed Test mit CE-IVD-Produkten der Klasse A
Hersteller können allgemeine Labor-Reagenzien, welche es erlauben, als IVD nach der IVDR zugelassen zu werden, an medizinische Labore vertreiben.
In Kombination mit den im Labor eigenentwickelten ASR können Labore diese Produkte als eigenentwickeltes Verfahren (sogenannte Lab Developed Tests, LDT) validieren und anwenden.
Was Labore dabei beachten sollten, erfahren sie in unserem Artikel zu Lab Developed Tests.
Die IVDR definiert solche „Produkt für Leistungsstudien“ (device for performance studies only) folgendermaßen:
Definition: Produkt für Leistungsstudien
„Produkt für Leistungsstudien“ bezeichnet ein Produkt, das von einem Hersteller zur Verwendung in einer Leistungsstudie bestimmt ist.”
Quelle: IVDR
Diese Produkte müssen aber bereits weitestgehend sicher sein und die entsprechenden grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllen.
5. Möglichkeiten, um sich abzusichern
Um rechtliche und andere negative Konsequenzen bei der Nutzung von RUO-Produkten zu vermeiden, können Hersteller, Betreiber und Patient:innen die folgenden Schritte unternehmen:
a) Hersteller
Für Hersteller ist es besonders wichtig, die Zweckbestimmung ihres Produktes entsprechend eng festzulegen.
Analyten-spezifische Reagenzien sollten nur für konkrete nicht-medizinische Zwecke als RUO-Produkt gekennzeichnet werden.
Ein Beispiel
bietet SARS-CoV-2 und seine Mutationen: Ein Testkit, das bei bereits existierendem positivem Ergebnis mit spezifischen Primern und Sonden die Varianten B.1.1.7 (Alpha-Variante) und B.1.351 (Beta-Variante) von der Ausgangsvariante unterscheidet, kann ein RUO-Produkt sein, wenn damit lediglich die Verbreitung der Variante in der Bevölkerung ermittelt werden soll.
Eine konkrete Zweckbestimmung wäre in diesem Fall: „Ausschließlich für die epidemiologische Forschung zum Zwecke der Erhebung der Verbreitung von SARS-CoV-2-Varianten in der Bevölkerung bestimmt.“
Wenn nun ein medizinisches Labor aufgrund neuer Erkenntnisse zur spezifischen Behandlung einer Varianten-Infektion diesen Test nutzt, um die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten, wäre dies eine Nutzung außerhalb der Zweckbestimmung (Off-Label-Use). Das betreibende Labor wäre dann für die Konformität des Tests verantwortlich.
Tipp
Der Hersteller hätte sich jedoch ausreichend abgesichert, solange er diesen klinischen Nutzen nicht mit dem Produkt bewirbt.
b) Betreiber
Betreiber sollten genau verzeichnen, wozu sie IVD und RUO-Produkte nutzen.
Medizinische Labore sind Betreiber von Medizinprodukten bzw. IVD und stehen daher in der Verantwortung, Medizinprodukte nur ihrer Zweckbestimmung entsprechend und gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik anzuwenden. Das fordert der §4 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung MPBetreibV.
Um sich abzusichern, sollten Labore ein Verzeichnis führen, das auflistet, welche Medizinprodukte und IVDs sich im Betrieb und der Routineanwendung befinden. Dieses Verzeichnis sollte einen Verweis auf das zutreffende Untersuchungsverfahren und die Zweckbestimmung der IVD enthalten.
Außerdem kann dieses Verzeichnis auch dazu dienen, Untersuchungsverfahren zu nennen, bei denen kein adäquates CE-IVD-Produkt am Markt verfügbar ist. Der Mangel an Alternativen rechtfertigt den Einsatz von RUO-Produkten im Rahmen von eigenentwickelten und validierten Verfahren als Lab Developed Test, sofern das Labor prüft und belegen kann, dass die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen und die zusätzlichen Anforderungen des Artikel 5 (5) der IVDR erfüllt werden.
c) Patient:innen
Patient:innen fehlt das erforderliche Fachwissen, um selbst eine Abgrenzung vorzunehmen. Oft bekommen sie wenig bis keine Information über den Test, der durchgeführt wird. Für Patient:innen gilt daher: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!
- Patient:innen können sich den kompletten Test-Bericht vom Labor aushändigen lassen, damit sie sich im Zweifel eine Zweitmeinung einholen können. Darin sollte auch ausgewiesen sein, welcher konkrete Test durchgeführt wurde.
- Patient:innen sollten sich informieren, wie “gut” oder “schlecht” ein Test funktioniert sowie das Verhältnis von Nutzen und Risiko klären.
- Künftig können sich Patient:innen und Ärzt:innen auch über die EUDAMED zu den Produkten informieren und rückschließen, ob der jeweilige Test mit zertifizierten und damit rechtskonformen IVD-Produkten durchgeführt wurde oder nicht.
6. Fazit
Produkte „For Research Use Only“ haben nach Meinung der EU-Kommission und der FDA in der Diagnostik nichts verloren. Um für diagnostische Zwecke eingesetzt zu werden, müssten sie die nötigen Kontrollmechanismen durchlaufen. Doch gerade diese gelten für RUO-Produkte nicht.
Wer RUO-Produkte dennoch für andere Zwecke als die reine Forschung nutzt oder vertreibt, spielt mit dem Feuer. Hersteller und Betreiber laufen Gefahr, in rechtliche Schwierigkeiten zu geraten und gefährden möglicherweise sogar die Gesundheit von Patient:innen. RUO-Produkte sollten daher ausschließlich für die Forschung genutzt werden. Ansonsten sollten Hersteller und Betreiber auf die genannten Alternativen zurückgreifen.
Unser Tipp ist daher: Sollten Sie als Hersteller oder medizinisches Labor feststellen, dass ein RUO-Produkt sich für die In-vitro-Diagnostik besonders gut eignet, überlegen Sie, ob sich die Weiterentwicklung und die Konformitätsbewertung zum IVD lohnt. Welche der drei oben genannten Alternativen zu RUO die beste für Ihr Produkt ist, klären wir gerne mit Ihnen im Rahmen unserer Beratung zur IVD-Zulassungsstrategie. Bei Bedarf unterstützen wir Sie zudem gerne bei der konformen Produktentwicklung.
In unserer E-Learning-Plattform Auditgarant erfahren Sie, wie Sie die regulatorischen Anforderungen erfüllen, erhalten Zugang zu unseren Vorlagen sowie Templates und lernen in Tutorials wie Sie Ihr Produkt zur Zulassung bringen.
Vielen Dank an Dr. Boris Handorn, Rechtsanwalt und Partner der PRODUKTKANZLEI, Augsburg für seinen wertvollen Input zu diesem Beitrag.