Die korrekte und präzise Formulierung der Zweckbestimmung von Medizinprodukten ist entscheidend für deren erfolgreiche Entwicklung und Zulassung. Doch bereits die Begriffsdefinitionen und die Abgrenzung von Zweckbestimmung und bestimmungsgemäßem Gebrauch erschweren die notwendige Klarheit und Präzision.
Doch dieser Artikel verrät,
- wie Sie eine Zweckbestimmung formulieren, um Schwierigkeiten bei Audits und Zulassungen zu vermeiden.
- welcher Fehler beim Ausstellen der Bescheinigungen durch Ihre Benannte Stelle keinesfalls begangen werde sollte, um den Gültigkeitsbereichs Ihres QM-Zertifikats nicht zu gefährden. Mehr dazu im Abschnitt 7.d).
1. Relevanz der Zweckbestimmung
Mit der Zweckbestimmung drückt der Hersteller aus, zu welchem (medizinischen) Zweck er sein Produkt angewendet haben will. Diese Festlegung ist die Voraussetzung für viele Aktivitäten bei der Entwicklung und Zulassung:
- Qualifikation des Produkts, d.h. Entscheidung, ob es ein Medizinprodukt ist
- Klassifizierung des Medizinprodukts, z.B. gemäß MDR oder IVDR
- Abgrenzung des normalen und abnormalen Gebrauchs
- Risikoanalyse
- Erstellen der klinischen Bewertung, die nachweisen muss, dass der Zweck erfüllt wurde
- Schreiben des Post-Market-Surveillance-Plans, der festlegt, wie das Erreichen der Zweckbestimmung im Feld überwacht wird
- Spezifikation des Produkts und seiner Leistungsparameter
Es ist die Aufgabe und die Freiheit des Hersteller, die Zweckbestimmung zu bestimmen. Das Landgericht Hamburg schreibt dazu:
Zweckbestimmung definiert § 3 Nr. 10 MPG als die Verwendung, für die das Medizinprodukt in der Kennzeichnung, der Gebrauchsanweisung oder den Werbematerialien nach den Angaben des Herstellers bestimmt ist. Entscheidend ist insoweit die subjektive Bestimmung durch den Hersteller, der allein durch objektive Haltbarkeit und Willkür Grenzen gesetzt sind (…)
LG Hamburg, 416 HKO 114/20
2. Definitionen des Begriffs „Zweckbestimmung“
Bedauerlicherweise gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs „Zweckbestimmung“. Zudem setzen viele Definitionen die „Zweckbestimmung“ (intended purpose) und den „bestimmungsgemäßen Gebrauch“ (intended use) gleich.
Dieses Kapitel stellt die Definitionen vor. Das nächste Kapitel grenzt die Zweckbestimmung und den bestimmungsgemäßen Gebrauch voneinander ab.
a) Definition in der Medizinprodukterichtlinie MDD
Die Medizinprodukterichtlinie MDD definiert in ihrer konsolidierten Fassung den Begriff als Verwendung, für die das Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers in der Etikettierung, der Gebrauchsanweisung und/oder dem Werbematerial bestimmt ist.
In ihrer englischen Ausgabe ist der Begriff mit intended purpose übersetzt. Häufig findet man auch die Übersetzung intended use, was aber eher dem bestimmungsgemäßen Gebrauch entspricht. Beide Begriffe werden oft synonym verwendet, obwohl sie nicht ganz bedeutungsgleich sind.
b) Definition der MDR
„’Zweckbestimmung‘ bezeichnet die Verwendung, für die ein Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben und seinen Angaben bei der klinischen Bewertung bestimmt ist;“
Auch die MDR übersetzt diesen Begriff im Englischen als „intended purpose„.
Neben dem Begriff „Zweckbestimmung“ arbeitet die MDR auch mit dem Begriff „bestimmungsgemäße Verwendung“ („intended use“). Sie definiert diesen Begriff aber nicht. Er entspricht dem „bestimmungsgemäßen Gebrauch“.
c) Definition in der IEC 60601-1:2013
Die IEC 60601-1 definiert den Begriff als die Verwendung, für die ein Produkt, ein Prozess oder eine Dienstleistung nach den vom Hersteller gelieferten Spezifikationen, Anweisungen und Informationen vorgesehen ist.
d) Definition in der ISO 14971
Die ISO 14971 hat in ihrer dritten Ausgabe (ISO 14971:2019) die Definition des Begriffs überarbeitet. Sie setzt allerdings intended use und intended purpose gleich. Doch deutet die Anmerkung darauf hin, dass eher der medizinische Zweck gemeint ist.
Note 1 to entry: The intended medical indication, patient population, part of the body or type of tissue interacted with, user profile, use environment, and operating principle are typical elements of the intended use. “
e) Definition der FDA
Die FDA definiert den Begriff „intended use“ im 21 CFR part 801.4 wie folgt:
„„The words intended uses or words of similar import in 801.5, 801.119, and 801.122 refer to the objective intent of the persons legally responsible for the labeling of devices. The intent is determined by such persons‘ expressions or may be shown by the circumstances surrounding the distribution of the article. This objective intent may, for example, be shown by labeling claims, advertising matter, or oral or written statements by such persons or their representatives.
It may be shown by the circumstances that the article is, with the knowledge of such persons or their representatives, offered and used for a purpose for which it is neither labeled nor advertised. The intended uses of an article may change after it has been introduced into interstate commerce by its manufacturer.
If, for example, a packer, distributor, or seller intends an article for different uses than those intended by the person from whom he received the devices, such packer, distributor, or seller is required to supply adequate labeling in accordance with the new intended uses. But if a manufacturer knows, or has knowledge of facts that would give him notice that a device introduced into interstate commerce by him is to be used for conditions, purposes, or uses other than the ones for which he offers it, he is required to provide adequate labeling for such a device which accords with such other uses to which the article is to be put“
f) Definition des IMDRF
Schon älter ist die Definition des IMDRF in seinem Dokument GHTF/SG1/N70:2011 („Label and Instructions for Use for Medical Devices“). Achtung: Ein Klick auf den Link lädt gleich ein Word-Dokument herunter.
3. Abgrenzung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch
Der Begriff „Zweckbestimmung“ im weiteren Sinn umfasst bei Medizinprodukten streng genommen mehrere Aspekte:
- Der eigentliche medizinische Zweck („medizinische Zweckbestimmung“ oder Zweckbestimmung im engeren Sinn), d.h. welche Krankheit oder welche Verletzung man diagnostizieren, therapieren oder überwachen will.
- Die medizinische Anwendung bestimmt den medizinischen Kontext, also welche Anwender in welchem Nutzungskontext das Produkt für welche Patienten anwenden soll.
- Der (sonstige) bestimmungsgemäße Gebrauch, der festlegt, was man insgesamt bzw. zusätzlich mit dem Produkt machen können soll. Das umfasst das Produkt zu lagern, transportieren, updaten oder zu reinigen.

Die IEC 60601-1:2013 enthält zudem eine Definition von „bestimmungsgemäßer Gebrauch“, nämlich Betrieb, einschließlich Routineprüfung und Einstellungen durch Bediener, und Stand-by entsprechend der Gebrauchsanweisung.
Die Medical Device Regulation MDR spricht statt vom „bestimmungsgemäßen Gebrauch“ von der „bestimmungsgemäßen Verwendung“. Beide Begriffe sind synonym zu verstehen.
4. Regulatorische Anforderungen
Es gibt mehrere Regularien, die Sie in diesem Kontext beachten sollten:
- Die Medizinprodukterichtlinie MDD und die MDR fordern die Festlegung der Zweckbestimmung als Teil der technischen Dokumentation.
- Die ISO 14971, die für das Risikomanagement harmonisierte Norm, setzt in Kapitel 4.2 bzw. 5.2 (ISO 14971:2019) die Zweckbestimmung für die weitere Risikoanalyse voraus.
- Die IEC 62366-1 verlangt eine „Spezifikation der Anwendung“, was einer erweiterten Zweckbestimmung entspricht. Der IEC TR 62366-2 gibt dazu weitere konkrete Hilfestellungen und Beispiele.
- Die FDA hat ein eigenes allerdings inzwischen veraltetes Guidance Document veröffentlicht (Link).
- Die ISO 13485:2016 fordert in 7.3.7: „Eine Entwicklungsvalidierung muss […] sicherstellen, dass das resultierende Produkt in der Lage ist, die Anforderungen für die festgelegte Anwendung oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu erfüllen.“ Das setzt voraus, dass diese bekannt sind.
- Die IEC 60601-1 setzt eine genaue Spezifikation der Anwendungsumgebung voraus, die beispielsweise physikalische Parameter wie Temperatur, Höhe / Luftdruck, Helligkeit ebenso umfasst wie die Versorgungsspannung(en) und den Verschmutzungsgrad.
5. Inhalte einer Zweckbestimmung
Adressieren Sie in Ihrer (erweiterten) Zweckbestimmung folgende Aspekte:
- Medizinischer Zweck: Welche Krankheit oder welche Verletzung soll diagnostiziert, therapiert, überwacht, gelindert oder vorhergesagt werden?
- Medizinische Indikation und Kontraindikation (Beide lassen sich z.B. über ICD-10-Codes festlegen.)
- Vorgesehene Patientengruppe
- Vorgesehenes Körperteil
- Vorgesehenes Nutzerprofil
- Vorgesehene Gebrauchsumgebung bzw. Nutzungsumgebung
- Physikalische Umgebung, z.B. Helligkeit, Lärm, Verschmutzung
- Soziale Umgebung, z.B. Stress, Schichtbetrieb
- Technische Umgebung, z.B. Werkzeuge, Software
- Klinische Umgebung, z.B. steril, Tragen von Schutzausrüstung
- Funktionsweise, physikalisches Prinzip
Üblicherweise subsumieren die Medizinproduktehersteller in diesen Dokument auch den sonstigen bestimmungsgemäßen Gebrauch.
Gelegentlich legen die Hersteller auch Ausschlüsse fest, schränken also die Zweckbestimmung ein. Damit verfolgen Sie den Zweck
- die Abgrenzung dessen, für was das Produkt wirklich gedacht ist und für was nicht, noch klarer festzulegen oder
- den Anwendungsbereich als risikominimierende Maßnahme einzuschränken.
6. Zweckbestimmung für Mobile Medical Apps
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a) Informationsquellen, aus denen auf die Zweckbestimmung geschlossen werden kann
Wenn Sie die Zweckbestimmung für Mobile Medical Apps nicht explizit formulieren, wird man sie (bei einem Rechtsstreit) doch implizit ableiten können z.B. aus
- Webseite
- Beschreibung der App im AppStore
- Funktionalität
- Marketingmaterial wie Broschüren, Flyer, Messeauftritte
b) Inkonsistente Zweckbestimmungen bei Medical Apps
Ein unfreiwilliges Beispiel dafür, welchen Spagat Firmen beim Schreiben einer Zweckbestimmung für Mobile Medical Apps versuchen, gibt uns die Firma DocCheck. Sie schrieb im AppStore u.a.
„[…] App lässt sich […] die richtige Diagnose eingrenzen. […] Sollte bereits eine Verdachtsdiagnose bestehen, lässt sich diese anhand spezifischer Diagnosemerkmale verifizieren oder eingrenzen“ […] Anschließend werden mögliche Diagnosen durch den Unterpunkt „Überlegungen“ weiter eingegrenzt. Danach werden die Ergebnisse mit Fragen zu Laborwerten verknüpft, ehe Dir im letzten Schritt mögliche Diagnosen nach ihrer Wahrscheinlichkeit sortiert angezeigt werden.“
Damit wäre die App wahrscheinlich ein Medizinprodukt. Daher dreht der Hersteller im letzten Satz die Zweckbestimmung um 180° und schreibt: „Diese App […] dient allein der Verbesserung Deiner Anamnesekenntnisse & -fähigkeiten.“ Das empfindet nicht jede/r als konsistent. Wo uns die App doch so nett duzt…
c) Klassifizieren und Bewerten von Medical Apps
Das Peter L. Reichertz Institute for Medical Informatics hat eine Seite mit einer Taxonomie veröffentlicht, um Mobile Medical Apps in Form eine Synopse zu beschreiben. Weil ich die Seite insbesondere die Hierarchie nicht ganz übersichtlich finde, habe ich mir die Arbeit gemacht, die Taxonomie in eine Mindmap zu überführen.

Die Aspekte gefallen sehr gut. Das Johner Institut empfiehlt aber nicht, diese Taxonomie als Struktur für Ihre Dokumentation zu nutzen. Aus regulatorischer Brille begeben Sie sich sonst auf gefährlichen Boden. Nutzen Sie vielmehr die Auflistung, um die Vollständigkeit Ihrer Dokumente z.B. Ihrer Zweckbestimmung zu prüfen.
Unterstützung beim Schreiben einer Zweckbestimmung für Mobile Medical Apps
Das Johner Institut unterstützt kontinuierlich Firmen (z.B. Pharmafirmen, Medizinproduktehersteller, Agenturen) bei der „Zulassung“ von Mobile Medical Apps. Dazu zählt auch
- die Klärung, ob die App überhaupt ein Medizinprodukt ist
- das Schreiben und Prüfen der Zweckbestimmung
- Hilfe beim Schreiben, Prüfen und ggf. Einreichen der technischen Dokumentation
- das Etablieren eines schlanken ISO 13485 konformen Qualitätsmanagementsystems.
Nehmen Sie Kontakt mit uns auf, um zu klären, wie wir Ihnen schnell und kostengünstig (mit nur wenige Beratungstagen) zu einer schlanken und gesetzeskonformen Dokumentation verhelfen können.
7. Konsequenzen bei der MDR: Zweckbestimmung und „bestimmungsgemäße Verwendung“
a) Was die MDR mit „intended purpose“ meint
Die MDR liefert eine Definition des Begriffs Zweckbestimmung (s.o.). Wie sehr sie damit auf den medizinischen Zweck abzielt, wird an mehreren Stellen klar:
- Das Risiko-Nutzen-Verhältnis muss von der Zweckbestimmung abhängen (s. Artikel 2 (24)). Der Nutzen muss bei einem Medizinprodukt ein medizinischer sein.
- Die MDR definiert die „klinische Leistung“ als „die Fähigkeit eines Produkts […] seine vom Hersteller angegebene Zweckbestimmung zu erfüllen, sodass bei bestimmungsgemäßer Verwendung nach Angabe des Herstellers ein klinischer Nutzen für Patienten erreicht wird“. Dieses Satz verdeutlicht den Unterschied zwischen Zweckbestimmung und bestimmungsgemäßer Verwendung besonders deutlich.
- Auch bei den „Claims“ in Artikel 7 geht es um die Zweckbestimmung. Diese Claims beziehen sich auf die Zweckbestimmung. Es wird klar, dass es v.a. um die „medical claims“ und damit die medizinische Zweckbestimmung geht.
b) Wo die MDR möglicherweise unpräzise ist
Die MDR trennt die Begriffe „Zweckbestimmung“ und „bestimmungsgemäße Verwendung“ meist, aber nicht immer ganz präzise.
- Beispielsweise definiert sie die Kompatibilität als „Fähigkeit eines Produkts — einschließlich Software —, bei Verwendung zusammen mit einem oder mehreren anderen Produkten gemäß seiner Zweckbestimmung […] seine Leistung zu erbringen“. Das ist nicht falsch. Man hätte aber auch von „gemäß seines bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ schreiben können, weil das Verbinden von Geräten ein Aspekt dieses bestimmungsgemäßen Gebrauchs ist.
- Die MDR fordert in Anhang VII Absatz 4.5.2 von den benannten Stellen, das Sampling der technischen Dokumentation abhängig vom „intended use“ (bestimmungsgemäßem Gebrauch) vorzunehmen. Hier ist wahrscheinlich die Zweckbestimmung gemeint, denn die Zweckbestimmung bestimmt die Klasse (s. Artikel 51 und Anhang )
- Im Artikel 22 (Systeme und Behandlungseinheiten) schreibt die MDR: „(1) Natürliche oder juristische Personen, die Produkte mit einer CE-Kennzeichnung mit folgenden anderen Medizin- oder sonstigen Produkten in einer mit der Zweckbestimmung der Medizin- oder sonstigen Produkte vereinbaren Weise und innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen kombinieren, …“. Hersteller dürfen „kombinierte Produkte“ nur dann ohne erneute Konformitätsbewertung in den Verkehr bringen, wenn sie gemäß des bestimmungsgemäßen Gebrauchs in der Kombination verwendet werden soll. Möglicherweise soll die Phrase „innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen“ das Delta zwischen Zweckbestimmung und bestimmungsgemäßem Gebrauch ausdrücken.
- Artikel 32 („Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung“) schreibt: „Der Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung umfasst mindestens […] die Zweckbestimmung des Produkts und sämtliche Indikationen, Kontraindikationen und Zielgruppen“. Streng genommen zählen die Indikationen zur Zweckbestimmung.
Insgesamt kann man nicht von Fehlern sprechen, da die Begriffe „Zweckbestimmung“ und „bestimmungsgemäßer Gebrauch“ nicht überschneidungsfrei sind. Es ist einzig fraglich, ob an manchen Stellen der passendere Begriff die Intention der Autoren präziser ausgedrückt hätte.
c) Wo die Zweckbestimmung bei der MDR entscheidend ist
Die Wahl der Zweckbestimmung hat weitreichende Konsequenzen, von denen nur einige im Folgenden genannt sind
- Sie bestimmt den „Umfang des klinischen Nachweises“ („level of evidence“) klinischer Bewertungen (Artikel 61)
- Die Zweckbestimmung ist entscheidend für die Klassifizierung des Produkts (Artikel 51, Anhang VIII).
- Hersteller müssen nachweisen (Verifizierung, Validierung), dass die Produkte geeignet sind, die Zweckbestimmung zu erreichen (Anhang I) und dies auch entsprechend dokumentieren (Anhang II).
- Die MDR verpflichtet die Hersteller dazu, die Begleitmaterialien z.B. die Gebrauchsanweisung so zu gestalten, dass die in der Zweckbestimmung festgelegten Anwender den in der Zweckbestimmung festgelegten Zweck auch erreichen.
- Die Konformitätserklärung muss enthalten: „Produkt- und Handelsname, Produktcode, Katalognummer oder eine andere eindeutige Referenz, die die Identifizierung und Rückverfolgbarkeit des von der EU-Konformitätserklärung erfassten Produkts ermöglicht, wie z. B. gegebenenfalls ein fotografisches Bild, sowie seine Zweckbestimmung“. (Anhang IV)
- Beim Sampling der Produkte sollen die benannten Stellen u.a. die Zweckbestimmung („intended purpose“) berücksichtigen (Anhang IX, Abschnitt 2.3): „Bei der Auswahl repräsentativer Stichproben berücksichtigt die Benannte Stelle […] insbesondere die technologische Neuartigkeit […] die Zweckbestimmung und […]“
- Die Zertifikate („Bescheinigungen“) müssen zumindest teilweise die Zweckbestimmung enthalten: Im Anhang IX, Abschnitt 4.9 schreibt die MDR: „Die Bescheinigung enthält die Ergebnisse der Bewertung der technischen Dokumentation, die Bedingungen für die Gültigkeit der Bescheinigung, die zur Identifizierung der genehmigten Auslegung erforderlichen Angaben sowie gegebenenfalls eine Beschreibung der Zweckbestimmung des Produkts.“. Die Zweckbestimmung muss somit zumindest „gegebenenfalls“ erhalten sein. Im Anhang XII („Von einer Benannten Stelle ausgestellte Bescheinigungen“) wird die MDR noch eindeutiger: „die EU-Qualitätsmanagementbescheinigungen und die EU-Qualitätssicherungsbescheinigung enthalten Angaben zu den Produkten bzw. Produktgruppen, zur Risikoklassifizierung und bei Produkten der Klasse IIb zur Zweckbestimmung.“
d) Das Problem mit der Zweckbestimmung auf den Bescheinigungen
Problemstellung: Aushebeln der Konformitätsbewertungsverfahren?
Wie eben beschrieben müssen die Benannten Stellen auf den Bescheinigungen zumindest bei Produkten der Klasse IIb die Zweckbestimmung angeben. Damit droht aber ein Grundkonzept der Konformitätsbewertungsverfahren unterlaufen zu werden:
Die Hersteller dürfen (eigentlich) im Rahmen des QM-Systems selbständig die Konformität ihrer Produkte erklären. Wenn die Bescheinigung jedoch die Zweckbestimmung eines Produkts explizit nennt, dann ist die Bescheinigung genau darauf beschränkt.
Damit bräuchte der Hersteller entweder mehrere Bescheinigungen, oder die Bescheinigung muss die Zweckbestimmung mehrerer Produkte enthalten.
Damit wäre man fast bei einer „Einzelzulassung“ für jedes Produkt.
Regulatorische Anforderungen an das Sampling
Die Benannten Stellen sind verpflichtet, die technische Dokumentation stichprobenartig zu prüfen. Das bedingt die „Erstellung und Aktualisierung eines Stichprobenplans für Produkte der Klassen IIa und IIb für die Bewertung der technischen Dokumentation gemäß den Anhängen II und III, die die Bandbreite dieser vom Antrag des Herstellers erfassten Produkte abdeckt.“ (Anhang VII 4.5.2).
Laut Artikel 52 müssen die Benannten Stellen bei Klasse-IIb-Produkten mindestens ein repräsentatives Produkt pro generischer Produktgruppe prüfen, bei Klasse IIa-Produkten mindestens ein repräsentatives Produkt jeder Produktkategorie.
Lesen Sie hier mehr zum Thema generische Produktgruppen und Produktkategorien.
Hinführung zur Lösung
Das Konformitätsbewertungsverfahren wird in den Fällen weitgehend ausgehebelt, in denen beispielsweise bei Klasse-IIb-Produkten die Zweckbestimmung granularer ist als die generische Produktgruppe.
Denn dann würde der Hersteller zwar davon profitieren, dass die Benannte Stelle nur eine technische Dokumentation pro generischer Produktgruppe prüfen muss. Aber er hätte nichts davon, weil die Bescheinigung nur für das Produkt bzw. die Produkte gälte, die die gleiche Zweckbestimmung tragen.
Die MDCG hat die generischen Produktgruppen als die vierte Ebene des CND-Katalogs definiert. Wie granular diese Aufteilung ist, lässt sich am folgenden Beispiel illustrieren:
- Ebene: „Medical Equipment and Related Accessories and Materials“
- Ebene: „Functionality Explring and Treatment Instruments“
- Ebene: „Instruments for Vitals Signs Monitoring and Life Support“
- Ebene: „Vital Signs Monitoring Instruments“
- Ebene: „Blood Pressure Monitoring“
- Ebene: „Invasive Blood Pressure Monitoring“
Lesen Sie hier mehr zum Thema CND-/EMDN-Codes.
Lösung – wirklich?
Zumindest vordergründig scheint die Lösung darin zu bestehen:
- Bei Klasse-IIa-Produkten die Zweckbestimmung auf der Bescheinigung nicht angeben. Die MDR spricht nur von „gegebenenfalls“.
- Bei Klasse-IIb-Produkten die Zweckbestimmung („intended purpose“) so allgemeingültig formulieren, dass sie der generischen Produktgruppe d.h. der vierten Ebene des CMD-Katalogs entspricht.

Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese generischere Zweckbestimmung bei den Klasse-IIb-Produkten bei einigen Aufgaben zu unspezifisch ist. Beispiele:
- Klassifizierung des Produkts: Es kann durchaus sein, dass Produkte, die zur gleichen generischen Produktgruppe zählen, unterschiedlich klassifiziert werden.
- Klinische Bewertung: Die klinische Bewertung eines „Central Information Computing Systems“ (mit dem Zweck des „Vital Signs Monitoring“) unterscheidet sich von der klinischen Bewertung eines invasiven Blutdruckmonitors relevant. Beide zählen aber zur gleichen „generischen Produktgruppe“.
- Verifizierung und Validierung: Es ist offensichtlich, dass die V&V-Aktivitäten für die eben genannten Beispiele sich substanziell unterscheiden.
Herstellern und Benannten Stellen sollte klar sein, dass es nicht DIE eine Zweckbestimmung für ein Produkt gibt, geben kann und geben sollte:
- Man benötigt eine kurze Zweckbestimmung, die gegebenenfalls die Bescheinigungen enthalten müssen.
- Es bedarf einer ausführlicheren Zweckbestimmungen z.B. mit der Spezifikation der vorgesehenen Nutzer, mit der Spezifikation der vorgesehenen Nutzungsumgebung und mit der Nennung der „medical claims“, die für die Klassifizierung und für die klinische Bewertung benötigt werden.
Tipps für Hersteller
Daher sind Hersteller gut beraten, bei der Bescheinigung mit einer kurzen und etwas allgemeineren Zweckbestimmung zu operieren. Bei den spezifischen Tätigkeiten wie der Klassifizierung sollten sie mit einer detaillierteren und spezifischeren Zweckbestimmung arbeiten.
Die MDR schreibt nirgends, dass es nur eine Formulierung der Zweckbestimmung geben darf. Wie eben dargelegt, geht das auch gar nicht.
Die Zweckbestimmungen in den verschiedenen Ausprägungen dürfen sich nur nicht widersprechen. Das ist bei Zweckbestimmungen, die sich „nur“ im Detail- und Abstraktionsgrad unterscheiden, auch nicht zu erwarten.
Wunsch an die Benannten Stellen
Es bleibt sehr zu hoffen, dass die Benannten Stellen wegen der Pflicht, dass bei Klasse-IIb-Produkten die Zweckbestimmung auf dem Zertifikat stehen muss, nicht das Grundkonzept der Konformitätsbewertungsverfahren aushebeln. Eine faktische Einführung von Einzelprüfungen wäre der Todesstoß für viele Hersteller.
Entweder ist ein Hersteller in der Lage, ein Qualitätsmanagementsystem wirksam zu betreiben, oder er ist es nicht. Ihm zu unterstellen, dass er Qualitätsmanagement für einen Vitaldatenmonitor (z.B. Sauerstoffsättigung) betreiben kann, für einen Blutdruckmonitor aber nicht, ist absurd.
Dann hätten wir ein Zulassungssystem wie in den USA. Genau das hat die EU-Kommission nicht gewollt.
8. Fazit
Die Zweckbestimmung stellt die Basis für die Entwicklung Ihres Medizinprodukts dar. Wenn sie fehlt, falsch, unvollständig oder unverständlich ist, werden Sie wahrscheinlich im Lauf der Entwicklung nicht nur auf regulatorische Probleme stoßen. Üblicherweise lesen Auditoren und Inspektoren dieses Dokument gleich zu Beginn. Nehmen Sie sich also die Zeit, es sorgfältig zu erstellen!
Änderungshistorie
- 2021-03: Artikel völlig überarbeitet; v.a. die Einführung und Kapitel 3 (Definitionen) ergänzt und aktualisiert.
Hallo,
eine umfassende Ausarbeitung – beeindruckend!
Ich habe (leider) einen formalen Hinweis zum letzten Absatz.
Aufgrund des letzten Satzes (Nehmen Sie sich die Zeit, es sorgfältig zu erstellen!) wirkt meine „Entdeckung eventuell ironisch, ist aber so nicht gemeint:
8. Fazit
Die Zweckbestimmung stellt die Basis für die Entwicklung Ihres Medizinprodukts dar. Fehlt es, ist es falsch…
Es müsste „Fehlt sie“ (die Zweckbestimmung) heißen
Üblicherweise lesen sich Auditoren und Inspektoren dieses Dokument auch zu allererst.
Entweder müsste „sich“ gelöscht werden, oder an das Satzende ein „durch“ gesetzt werden.
Weiterhin alles Gute und vielen Dank für die vielen verständlichen Erklärungen!
Sie haben absolut Recht, Frau Schulze-Beckinghausen!
Dank Ihre Hilfe konnte ich die grammatikalischen Schnitzer beheben. Vielen Dank!
Beste Grüße, Christian Johner
Hallo Herr Johner,
vielen Dank für diese tolle Ausarbeitung.
Ich habe diese Ausarbeitung gelesen, mit dem Ziel: etwas zur Definition zum „Abnormal use“ zu finden.
Gibt es diesen Begriff unter der MDR überhaupt noch? Gibt es eine allgemein gültige Definition hierfür?
In dem Template für die Vorkommnisbewertung wird der „abnormal use“ als Kriterium für das Nichtmelden von Ereignissen angegeben (im Entscheidungsbaum).
Vielleicht wäre es eine gute Idee den „nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauch“ hier auch einzubauen?
Beste Grüße
Elena Keil
Sehr geehrte Frau Keil,
danke für Ihre Nachricht! Schauen Sie mal, ob der Beitrag zum vorhersehbaren Missbrauch u.a. in Abbildung die Antwort liefert? Ich bin nicht ganz sicher, auf welchen Entscheidungsbaum Sie sich beziehen.
Herzliche Grüße, Christian Johner
Guten Tag Herr Johner,
wir sind Händler von einem Urinsammelbecher. Ein Kunde hat bei uns angefragt, ob dieser Becher auch zum Sammeln von anderen Proben verwendet werden darf.
Nach Rückfrage beim Hersteller hat uns dieser eine allgemeine Gebrauchsanweisung für IVDs bereitgestellt (diese scheint für alle von ihnen hergestellten IVDs gültig zu sein). Z.B. wird als „Zweckbestimmung“ nur folgendes angegeben: For professional use only. Use only for laboratory analysis.
Meine Frage daher: ist das zulässig? Theoretisch könnten alle menschlichen und auch nicht-menschliche Proben darin gesammelt werden.
Beste Grüße,
Karl-Heinz
Sehr geehrter Herr Karl-Heinz,
der Hersteller hat die Hoheit über die Zweckbestimmung. Er darf die Anwendung, die Nutzer, die Nutzungsumgebung usw. festlegen.
Normalerweise machen das die Hersteller eher etwas breiter, um möglichst viele potenzielle Kunden zu haben. Wenn ein Hersteller aber aus anderen Gründen (z.B. um Medizinprodukt sein zu können oder Risiken zu minimieren) eine „enge“ Zweckbestimmung wählt, ist das absolut rechtlich okay.
Viele Grüße, Christian Johner
Sehr geehrter Herr Johner,
neben der ISO 14971:2019 setzt auch die MDCG 2020-6 (S. 6) den Intended Purpose mit dem Intended Use gleich:
“‘intended use’: The MDR defines ‘intended purpose’, but not ‘intended use’. ‘intended use’ should be considered to have the same meaning as ‘intended purpose’.”
Die IEC 62366-1:2015 definiert als den umfassenderen „bestimmungsgemäßen Gebrauch“:
„NORMAL USE: operation, including routine inspection and adjustments by any USER, and stand-by, according to the instructions for use or in accordance with generally accepted practice for those MEDICAL DEVICES provided without instructions for use
Note 1 to entry: NORMAL USE should not be confused with INTENDED USE. While both include the concept of use as intended by the MANUFACTURER, INTENDED USE focuses on the medical purpose while NORMAL USE incorporates not only the medical purpose, but maintenance, transport, etc. as well.“
Das Gegenstück ist der „Abnormal Use“.
Eine Vereinheitlichung der Definitionen, wie Sie sie fordern, wäre absolut wünschenswert.
Mit besten Grüßen
Michael Lang
Eine sehr wertvolle Ergänzung, Herr Lang! Ich werde den Beitrag noch entsprechend ergänzen.
Vielen Dank!
Beste Grüße, Christian Johner
Sehr geehrter Hr. Prof. Johner!
Wo kann die Gültigkeitsdauer einer CE- Kennzeichnung bei einem Medizinprodukt (z.B. Hochfrequenzchirurgie) gefunden werden?
Ist die CE für Medizinprodukte (Gerätschaften) einmal ausgestellt immer gültig?
Vielen Dank und LG
Sehr geehrter Herr,
die CE-Kennzeichnung enthält keine Gültigkeitsdauer. Die Kennzeichnung generell kann die Haltbarkeitsdauer enthalten.
Oder sprechen Sie von der Konformitätserklärung? Die kann muss aber keine zeitliche Beschränkung enthalten. Mehr dazu finden Sie im Artikel zur Konformitätserklärung.
Viele Grüße, Christian Johner
Hallo Herr Prof. Dr. Johner!
In der Zweckbestimmung wird ja auch das Anwenderprofil beschrieben.
Soll oder muss man hier auch das technische Servicepersonal mit berücksichtigen, welches je nach Vorgaben des Herstellers Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführen darf?
Ich denke, dass es gerade im Hinblick auf die Risikoanalyse wichtig sein kann, bereits in der Zweckbestimmung Anforderungen/Einschränkungen beim Servicepersonal formuliert zu haben.
Wie ist Ihre Meinung dazu?
Vielen Dank schon einmal und Grüße an den Bodensee.
Ralf Philipp
Lieber Herr Philipp,
absolute Zustimmung zu dem was Sie schreiben. Zum bestimmungsgemäßen Gebrauch gehört auch das Anwendungsszenario „Service“. Also wie Sie sagen: Tätigkeiten wie Wartung und Reparaturarbeiten am System, von wem sie durchgeführt werden und ob damit Risiken verbunden sind. Aus der Zweckbestimmung lassen sich Gefährdungen, die mit diesen Benutzungsszenarien verbunden sind ableiten, die Sie in der Risikoanalyse untersuchen und ggf. mit einer Gebrauchstauglichkeitsprüfung absichern. Die Einschränkung des Service-Personals zum Beispiel auf Hersteller-eigene Mitarbeitende kann ein Ergebnis Ihrer Risikobeurteilung sein und damit eine Risiko-Kontrollmaßnahme. Die konkrete Beschreibung der User und deren Einschränkung kann in der Zweckbestimmung festgelegt werden. Jedoch eignet sich bei umfangreichen Beschreibungen die Gebrauchstauglichkeits-Akte besser. Hier finden Sie mehr Informationen dazu: https://www.johner-institut.de/blog/category/iec-62366-usability/
Herzliche Grüße,
Sebastian Grömminger
Vielen Dank für Ihren Kommentar, Herr Grömminger!
Sehr gerne geschehen lieber Herr Philipp!
Sehr geehrter Herr Johner,
wird sind gerade am Gruppieren unserer Medizinprodukte für die Basis-UDI-DI. Diese sollte ja nur Produkte mit gleicher Zweckbestimmung gruppieren. Jetzt stellt sich für uns die Frage, wie eng man diese Zweckbestimmung sieht (Medizinischer Zweck oder zusätzlich Medizinische Anwendung?).
Dürften zum Beispiele ein Medizinprodukt was für Erwachsene bestimmt ist und ein Medizinprodukt, dass nur für Kleinkinder bestimmt ist unter einer Basic-UDI-DI gruppiert werden, wenn alle anderen Merkmale der Zweckbestimmung identisch sind?
Vielen Dank im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen,
Marius Berthel
Lieber Herr Berthel,
Die Patientenzielgruppe fällt unter die medizinische Anwendung. Wenn das Produkt z.B. mit geänderter Konfiguration angewandt wird, der eigentliche medizinische Zweck bei den unterschiedlichen Patientengruppen hingegen derselbe ist, können Sie eine Basic-UDI-DI für beide Produkte verwenden. Entscheidend ist zudem, dass es sich bei den Anpassungen für die Patientengruppe (hier Kleinkinder) um nicht-essentielle Charakteristika handelt. So zumindest der Entscheidungsbaum der Medtech Europe: https://www.medtecheurope.org/wp-content/uploads/2020/06/200602_MTE-Basic-UDI-DI-guidance-v1.1_final.pdf.
Herzliche Grüße,
Sebastian Grömminger